Wir sind alles Deutsche

Friedrich Plewka | veröffentlicht am 18.02.2007

Deutschlandwoche im «Nebelspalter»-Channel:

Ob der Neandertaler, der 1856 im Neandertal bei Düsseldorf gefunden wurde, ein Deutscher war, ist nicht beweisbar. Schliesslich gab es zu seiner Zeit noch keine nationalstaatlichen Grenzen. Die entstanden viel später, aber das mit Folgen! Es dauerte mehr als 100 000 Jahre, bis der zwischeneiszeitliche europäische Urzustand weitgehend wieder hergestellt war (siehe unter EU). Inzwischen hatten die Nachkommen des Neandertalers gelernt, sich umfassend zu artikulieren. Leider in verschiedenen Sprachen. In Deutschland wurde überwiegend Deutsch gesprochen, es vermittelte das Gefühl, zum gleichen Volksstamm zu gehören.

Hätte Hermann der Cherusker nicht im Jahre 9 n. Chr. im Teutoburger Wald die römischen Besatzer geschlagen, würden die Deutschen heute vielleicht nur Italienisch sprechen. «Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder», soll Kaiser Augustus im fernen Rom gejammert haben. Auch dieser Arminius war noch kein echter Deutscher, sondern ein Barbar, ein germanischer Fürst, der von den Hügeln aus Findlinge gegen die Kohorten der Römer rollen liess.

Karlchens Harke

Es musste erst ein deutscher Kaiser her, Karl der Grosse, ein Franke, der den kleinkarierten Stammesfürsten zeigte, was eine Harke ist. Heilig, Römisch, Deutsch und Nation wurden prägende und einigende Begriffe. Aber nichts hält ewig. Irgendwie suchte später jeder Potentat sein eigenes Süppchen zu kochen. Die Schweizer verschanzten sich in ihren Tälern. Das merkt man noch heute an diversen Dialekten. Immerhin machten sie das eine oder andere territoriale Schnäppchen. Dafür müssen sie sich jetzt auch mit vier Landessprachen und dem Alemannischen nicht gerade besonders adäquaten Mentalitäten abplagen.

Im Deutschland der Könige, Fürsten und Herzöge zeichneten sich andere Tendenzen ab. Grosse Denker suchten mit Fleiss und dichterischer Einfalt dem Deutschtum ein beseeltes Image zu geben. Nebenbei bescherte Schiller den Eidgenossen einen Wilhelm Tell. Welch ein Geschenk! Und wie danken es die Schweizer den Deutschen? Mit Argwohn und Missgunst. Fürst Bismarck, nicht verwandt mit dem Hering gleichen Namens, rackerte für ein Deutsches Reich, in dem sich auch längst nicht mehr rassenreine Volksgruppen etabliert hatten, so Alemannen und Slawen. Es gelang dem Eisernen Kanzler, eine gemeinsame Interessenslage zu schaffen. Kaiser Wilhelm II. durfte stolz sein.

Die Schweizer kompensieren noch

Der Wahn war kurz, die Reue lang. Ein Österreicher schuf wieder Ordnung. «Ein Volk, ein Reich, ein Führer», lautete seine Devise. Und das Volk jubelte ihm zu. Adolf Hitler dachte aber weiter als alle Reichsgründer vor ihm. Er entwarf ein neues germanisches Menschenbild. Ohne Rücksicht auf Verluste. Die Schweiz zitterte wie das Kaninchen vor der Schlange. Und so ganz haben hier zu Lande einige Leute das Zittern noch nicht verlernt. Sie kompensieren es jedoch. Auch mit Schadenfreude, zum Beispiel wenn den Deutschen etwas misslingt, und das kommt schon mal vor. Angela aus der Uckermark soll es richten, sie weckt Hoffnungen. Aber auf was? Denn das deutsche ethnologische Sammelsurium hat es in sich. Wenn eines Tages in der BRD Türkisch zweite Landessprache werden sollte, könnte es sich lohnen, das Augenmerk etwas mehr auf die Geschichte des Osmanischen Reichs zu werfen. Möglicherweise verblasst dann mit der Zeit das lieb gewordene alte «Feindbild».

Weitere Artikel

loader