
Doris Leuthard, amtierende Bundespräsidentin, macht es Journalisten nicht leicht, sie nicht zu mögen. Als wir sie unlängst am 5. Januar morgens um vier zum traditionellen Bilanz-Interview «100 Stunden im Amt» einluden, hat sie nur entwaffnend gelacht und wieder aufgelegt.
Als sie vergangene Woche in Berlin auf dem roten Empfangsteppich eine gefühlte Ewigkeit von Angela Merkel warten gelassen wurde, hat sie nur entwaffnend gelacht und ihren Rehblick aufgelegt. Obwohl die Szene alles andere als staatsfraulich wirkte, gab es von der ‹Welt› für Leuthard und Merkel anschliessend Bestnoten und Lob für das Styling «der beiden C-Politikerinnen».
Wobei C hier nicht für «drittklassig», sondern für «christlich» steht. Übrigens nimmt die Zahl jener, die dies für parteipolitische Synonyme halten, stetig ab. Eine Rückbesinnung auf christliche Werte gilt derzeit als tauglichste Antwort auf die Ausbreitung des Islam im Abendland: Religion ist nicht mehr mit Aufklärung beizukommen, sondern mit Gegenreligion. Leuthards Hauspartei, die CVP, will nun deshalb auch gezielt katholische Immigranten in ihr Boot holen. Das ist im Falle der beispielsweise angepeilten Katholiken aus Kosovo besonders lobenswert, waren die Kosovaren doch in den Balkankriegen der Neunzigerjahre jene Ethnie, die sich am wenigsten über Religion definierte und deshalb endlich lernen muss, dass jeder Krieg in Wahrheit ein Glaubenskrieg ist.
Im Lichte der Renaissance christlicher Werte kann es deshalb nur als göttliche Fügung betrachtet werden, dass die Präsidialwürde 18 Monate vor den nächsten eidgenössischen Wahlen in der Hand der C-Partei ist. Das schafft neben der Suche nach C-Parteigängern auch die Gelegenheit, die C-Werte breit zu diskutieren und wirksam vorzuleben. Im Zentrum steht dabei die christliche Tugend der Diskretion, in der sich seit jeher und gerade wieder besonders aktuell die Fähigkeit vereint, Jenseits-Gerichtetheit mit diesseitigen Freuden zu vereinen. Hier hat Frohnatur Leuthard, eben mit dem «Swiss Humor Award» geehrt, im seit Jahren von Infolecks geplagten Bundesrat bereits vieles erreicht.
Zur Klausurtagung vom vergangenen 1. Mai, an welcher der Bundesrat im Von-Wattenwyl-Haus vertraulich die überfällige Regierungsreform diskutierte, sind bislang keine Indiskretionen durchgedrungen. Gut möglich, dass sich der Bundesrat sogar dermassen diskret reformieren wird, dass es überhaupt kein Aussenstehender merkt. In der C-Hochburg Vatikan hat man in dieser Hinsicht bereits viele Jahrhunderte Übung.