
Als sich anlässlich der ersten freien «Tor des Monats»-Wahlen seit fünf Jahren ein klarer Sieg Karl-Theodor zu Guttenbergs abzeichnete, machte sich in der Übergangsredaktion erste Ernüchterung breit.
Der verhasste Chefredaktor hatte sich endgültig abgesetzt, nachdem er noch eine Weile den Westflügel des Verlages kontrolliert und einen geordneten Übergang zur Pointenfreiheit angeboten hatte. Das plötzliche Machtvakuum förderte erstaunlich schnell die unterschiedlichen, ja gegenläufigen Strategien der einzelnen Ressorts zutage, die auseinanderstrebenden Kräfte waren nur unter dem Druck des alten Regimes einigermassen gebändigt gewesen.
Die Gruppe «Onomatopoeia» machte sich für einen pointenreichen Text stark und zeigte sich mit langen Kalauer-Exzerpten von «Googleberg» bis «Dr. c. p. (= copy/paste)» sehr gut vorbereitet. Die lose verbundene Interessengemeinschaft «Satire muss gar nicht lustig sein» wies jedoch überzeugend darauf hin, dass gerade die nahe liegenden Wortspiele und Zoten bis zur Drucklegung des Heftes längst bei der Konkurrenz zu lesen gewesen sein werden.
Die «Historisierer» schlugen eine launige Tour d?Horizon durch berühmte Plagiatsfälle der Weltgeschichte von Shakespeare bis Brecht vor, was von der Aktion «Satire kann nur links und aggressiv sein» umgehend als Verharmlosung eines unverzeihlichen bürgerlichen Faux-pas gegeisselt wurde.
Die Gruppe der abgebrochenen Germanistik-Studenten machte sich für einen Beitrag in Dialogform stark, sekundiert von den Nebenfachpolitologen, die vorschlugen, ein fingiertes Interview zu schreiben, in dem Guttenberg ausschliesslich in Fremdzitaten antworte ? etwa mit Kopps «Mich trifft weder rechtlich noch moralisch eine Schuld».
Der «Aktion wider den Mainstream», von der Redaktionsmehrheit schlicht «Köppelianer» bezeichnet, waren sämtliche Ansätze zu abgedroschen. Sie machte sich für eine Sichtweise stark, wonach ein der Lüge überführter Guttenberg nun gewissermassen der einzige ehrliche Politiker sei. Politik sei per Definition ein Lügengeschäft, hier habe das endlich mal einer zugegeben.
In dieser blockierten Situation disparater Vorschläge einigte man sich schliesslich darauf, dem verhassten Chefredaktor sein altes Amt wieder anzubieten. Darüber hinaus hatte die zeitweilige Pointenfreiheit tatsächlich zu einem pointenfreien Text geführt.
Marco Ratschiller