
Der Atomausstieg ist die Kernfrage der Stunde und spaltet Nukleargegner und -pragmatiker in zwei Lager. Wir haben einen Sonderkorrespondenten ins Jahr 2050 geschickt und können von dort erstmals berichten: Alles wird gut!
In der Klimazone unter dem nationalen Solarschirm
Küenzli: Ob wohl oben über den Solarzellen die Sonne scheint?
Nötzli: Vermutlich schon, sonst hätten wir doch hier unten kein elektrisches Licht.
Küenzli: Es ist schon unglaublich, wie viel Energie dieses Solardach zu produzieren vermag.
Nötzli: Ja, die Felder werden mit Solarstrom künstlich besonnt .
Küenzli: . und mit Berieselungsanlagen künstlich bewässert, nachdem der Regen oben auf den Solarzellen kanalisiert, hier runtergeleitet und direkt den Speichern für die Bewässerungsanlagen zugeführt wird.
Nötzli: In den Bergen unter den Solarzellen laufen die Schneekanonen rund um die Uhr. Man kann das ganze Jahr über bei Kunstlicht Tag und Nacht schifahren.
Küenzli: Und das Tessin hat soeben eine flächendeckende kantonale Bodenheizung installiert.
Nötzli: Und das alles ausschliesslich mit Strom, der durch umweltfreundliche Sonnenenergie produziert wird.
Küenzli: Die Sonnenenergie ist schon ein Segen.
Nötzli: Auch auf die Wettervorhersagen ist mehr Verlass, seit das Wetter hier unten von einem Computer gesteuert wird.
Küenzli: Gut, hie und da gibt es halt mal einen Hagelsturm, Dampfnebel oder eine kleine Überschwemmung, wenn ein Programmfehler in den landwirtschaftlichen Bewässerungsanlagen auftritt.
Nötzli: Aber das ist nichts gegen die Programmfehler der Natur.
Küenzli: Ja, die soll ja früher unglaubliche Unwetterkatastrophen verursacht haben.
Nötzli: Na ja, aber alles, was der Mensch macht, ist auch nicht immer perfekt.
Küenzli: Wie meinst du das?
Nötzli: Erinnerst du dich noch daran, wie sie einmal wegen eines technischen Defekts drei Monate lang nachts das Licht nicht ausschalten konnten?
Küenzli: Ich erinnere mich noch an die ungeschickten Arbeiter, die nachher da oben sämtliche Leitungen kontrollieren mussten. Während Wochen regnete es Glühbirnen.
Nötzli: Aber alles in allem ist das Klima viel berechenbarer geworden, seit es computergesteuert ist.
Küenzli: Nur dieses von unten an die Solarzellendecke projizierte Himmelblau könnte man wieder einmal auswechseln, es ist seit einem halben Jahr das gleiche.
Nötzli: Ich habe gehört, es gäbe Urheberrechtsprobleme mit der Projektion.
Küenzli: Wie das denn?
Nötzli: Die Himmelsprojektion hat man von einem Künstler oder Architekten entwerfen lassen. Und der will jetzt der Regierung verbieten, an seinem Kunstwerk irgendetwas zu ändern.
Küenzli: Alles verändert sich ausser die Künstler.
Nötzli: Was machen wir denn heute?
Küenzli: Wir könnten uns mit einem Bier an den See legen.
Nötzli: Es ist Ferienzeit. Da sind doch die Solarien in den vorderen Liegereihen schon frühmorgens ausgebucht.
Küenzli: Ich habe gehört, beim alten Strandbad seien ein paar Sicherungen durchgebrannt. Da könnten wir uns an den Schatten legen.
Nötzli: Da ist aber auch das Bier warm.
Küenzli: Warum unternehmen wir nicht mal etwas Kulturelles? Im Kühlturm vom ehemaligen Atomkraftwerk ist eine Ausstellung mit Bildern, die zeigen, wie das Leben in der Schweiz früher war, bevor alles mit Solarzellen zugedeckt worden ist.
Nötzli: Neulich habe ich einen Dokumentarfilm gesehen über Wolken.
Küenzli: Die sollen aber auch gefährlich gewesen sein.
Nötzli: Ich möchte einmal die Atemmaske abnehmen und wieder richtige Luft atmen.
Küenzli: Bist du lebensmüde? Seit die Waldflächen abgeholzt und mit Solarzellen überdacht worden sind, kann die Natur nicht mehr genügend CO? in Sauerstoff umwandeln. Die Luft ist Gift!
Nötzli: Aber es ist so heiss unter der Sauerstoffmaske.
Küenzli: Dann ruf doch die städtischen Werke an, sie sollen die Klimaanlage etwas kühler schalten. Es ist schliesslich erst Mai.
Nötzli: Oben über den Solarzellen weht sicher eine frische Brise.
Küenzli: Vermutlich schon, die Windkraftanlagen dort oben liefern jedenfalls jede Menge Strom.
Nötzli: Gibt es denn keine Möglichkeit, auf den Solarschirm zu klettern?
Küenzli: Spinnst du? Sonnenlicht ist tödlich! Es verursacht Hautkrebs.
Nötzli: Na ja, wenigstens bleibt man unter den Solarzellen trocken, wenn es regnet.
Andreas Thiel