Guisans Reduit-Strategie in ganz neuem Licht

Roland Schäfli | veröffentlicht am 13.07.2011

Die letzten Verteidiger des Reduits haben am 22. Juni ihre Standarte abgegeben. Bis zuletzt hatte die Festungsartillerie ihre Bison-Kanonen auf den potenziellen Feind gerichtet, der sich dadurch stets vom Angriff abhalten liess.

Guisans Reduit-Strategie in ganz neuem Licht
Johannes Borer | (Nebelspalter)

Als nun der Kommandant seinen Spind ausräumte, stiess er ganz hinten auf einen längst vergessenen Ordner mit Geheimbefehlen. Der ?Nebelspalter? veröffentlicht einmal mehr ein hochbrisantes Papier, weil die Bevölkerung die Wahrheit verdient hat. Auch wenn sie wehtut.

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DER OBERBEFEHLSHABER DER ARMEE

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Geheimbefehl Nr. 11899

LAGE: Der übermächtige Feind aus dem Osten ist uns zahlen- und materialmässig weit überlegen. Die konventionelle Verteidigung scheint daher aussichtslos.

ZIEL: Ich beabsichtige, die Nazis mit einem grossen Bluff abzuschrecken. Wir werden den Eindruck erwecken, das ganze Innerschweizer Bergmassiv sei ausgehöhlt und könne sogar die Jagdflieger beherbergen. In dieser Felsenfestung würde sich die Armee bei einem Angriff «einigeln». Nüchtern betrachtet gebe ich zu, ein logisch denkender Mensch dürfte kaum auf diese Finte hereinfallen. Insbesondere die überdurchschnittlich kluge Schweizer Bevölkerung dürfte einer solch faustdicken Lüge keinen Glauben schenken. Daher muss die Fantasterei so unerhört wie nur möglich klingen. Denn je unglaublicher die Lüge, desto eher wird man an sie glauben. Natürlich ist klar, dass diese lachhafte Strategie nie ausgeführt werden könnte, würde sie doch unsere Industrie und die Bevölkerung im Flachland schutzlos dem Feinde ausliefern, während die Schweizer Armee ein paar Steine verteidigt.

AUSFÜHRUNG: Ich beabsichtige, am 25. Juli einen Rapport auf der Rütli-Wiese abzuhalten. Dieser soll vor den Augen des Feindes den Anschein geben, dass ich unser Kader auf diesen Masterplan einschwöre. Da wir in Tat und Wahrheit über viel zu wenig Offiziereverfügen, um den Parkplatz des Rütli zu füllen, geschweige denn die Wiese, befehle ich hiermit, eine Kompanie von gemeinen Soldaten in Offiziersuniformen zum genannten Datum zum Rütli zu verschieben. Wichtig ist, überall in den Bergen Schilder aufzustellen, die das Fotografieren verbieten. So schaffen wir auch innerhalb der einheimischen Bevölkerung den Glauben, dass etwas Geheimesund Grosses im Gange ist (Anmerkung an die Ordonnanz: nicht vergessen, diese Schilder nach Kriegsende zu entfernen).

RISIKEN: Wenn der Feind sich derart bluffen lässt, ist es wichtig für die Friedenszeiten, die Bevölkerung über die Wahrheit aufzuklären, da die Schweiz sonst der Gefahr anheimfällt, noch für Generationen einen Mythos aufrechtzuerhalten (Anmerkung an die Ordonnanz: bitte mich nach Kriegsende daran erinnern). Die Wahrheit aufzudecken ist dannzumal besonders wichtig, weil ansonsten Mia. von Steuergeldern im Militärbudget verwendet würden, weiterhin nutzlos ins Gotthard-Loch gesteckt zu werden.

BESONDERES: Hat der Bluff Erfolg, werden unsere Nachkommen für alle Zeiten von den Deutschen verschont bleiben. Die psychologische Kriegsführung benötigt für dieses Blendwerk einen Namen, der gleichzeitig abschreckend wirkt wie auch unserer Bevölkerung den Glauben verleiht, diese Festung sei uneinnehmbar. Vorschläge: «Igel-Bau», «Schweizer Schneggenloch» oder «Gotthard-Röhre» sind noch zu überdenken, als Welscher würde ich einen französischen Begriff vorziehen.

Der General:
Henri Guisan


Durchschlag an:
Ordonnanz


PS: Hinweis an Ordonnanz: Mir ist aufgefallen, dass Sie die Geheimbefehle statt im Ordner «Geheimbefehle» im Ordner «Makulatur» ablegen, bitteändern Sie das.

Roland Schäfli

Artikel erschienen in der Ausgabe

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