
Wer der Bewegungsarmut Einhalt gebieten möchte und für seinen Leib im sportlichen Sinne etwas Gutes tun will, der kauft sich in aller Regel einen Hometrainer zum Strampeln, ein elektrisches Laufband zum Joggen oder begnügt sich mit einem Expander und zwei Hanteln.
Im stillen Kämmerlein schwitzt er keuchend vor sich hin, ständig von Zweifeln geplagt, ob sein mühevolles Tun sich am Ende auch als nutzbringend erweisen wird. Leute, die zugleich Wert auf soziale Kontakte legen, gehen ins Fitnessstudio oder treten einem Turnverein bei.
Die eingangs genannten Methoden haben allesamt den Nachteil, dass sie Geld kosten. In Zeiten, wenn es den Gürtel enger zu schnallen gilt, sind Trainingsmöglichkeiten gefragt, bei denen von Kostenbelastung keine Rede sein kann. Eine jener Möglichkeiten ist das Rolltreppentraining im Kaufhaus. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie merken, dass sich ausser Ihnen noch andere auf der Treppe tummeln, die ? als potenzielle Käufer getarnt ? einem gezielten Aufbautraining nachgehen.
Tag für Tag ist der eine oder andere Rolltreppenbenutzer zu beobachten, dem es offenbar nicht schnell genug geht. Er überholt die vor ihm postierten Stufensteher seitwärts mit gezielten Sprüngen. Lassen Sie sich nicht täuschen! Hier haben Sie es nicht mit einem in Zeitnot geratenen Mitmenschen zu tun, sondern mit jemandem, der dabei ist, die erste Lektion aus dem Handbuch für Rolltreppentraining in die Praxis umzusetzen.
Mit dem Aufwärtslaufen nämlich beginnt es. Nach den ersten Übungsstunden empfiehlt es sich, die Laufgeschwindigkeitzu steigern und jeweils eine Stufe überspringend die Etagendistanz zu meistern. Sind jene Übungen erfolgreich abgeschlossen, wendet sich der Fitnesskandidat dem schwierigeren Teil des Rolltreppentrainings zu.
Die nächste Aufgabe besteht darin, die Rolltreppe entgegen ihrer Laufrichtung zu bezwingen. Es beginnt mit einer von unten nach oben laufenden Treppe. Aus der Gegenrichtung (von oben) kommend, besteht für den Treppenrenner die Schwierigkeit, den mechanischen Auftrieb der Treppe zu überwinden. Dies gelingt mithilfe des Tempotricks. Mit affenartiger Geschwindigkeit springt der Treppenbezwinger abwärts und steht Sekunden später als Sieger über Erfindergeist und Technik vor einem staunenden Publikum.
Fortgeschrittene Treppenfreaks wählen den umgekehrten Weg. Sie stürmen die abwärts rollende Treppe nach oben. Jene Übung ist ungleich schwerer und erfordert eine bärenstarke Kondition. Pulsschlag und Atemrhythmus erreichen nach der dritten Etage absolute Spitzenwerte. Es besteht keine Veranlassung, beim Rolltreppentraining nicht bis an die Grenze der körperlichen Belastbarkeit zu gehen. Im Notfall ist für Erste Hilfe gesorgt.
Abschliessend zwei Tipps für Anfänger. Erstens: Legen Sie die Trainingsstunden auf Tageszeiten mit verringerter Kundenfrequenz. Sie ersparen sich Rempeleien und Beleidigungsklagen. Zweitens: Vermeiden Sie auf alle Fälle einen Treppenwettlauf mit einem Kaufhausdetektiv. Es könnte sonst Ihre letzte Trainingsstunde gewesen sein.
Gerd Karpe