
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Christoph Mörgeli in glühendem Eifer für seinen Namensvetter und Ziehvater ins Zeug legt.
Doch kaum geschah dies so verbissen wie in den letzten Tagen, im Anschluss an die Hausdurchsuchung in Herrliberg. Keine Person des politischen Lebens wird hierzulande derart oft und offen angefeindet wie Mörgeli, nicht einmal der Übervater selbst; keinem Politiker wird häufiger etwas Mephistolisches, ja inhärent Böses unterstellt.
Mehr als einmal hat dergegen die oft sehr einseitig negative Berichterstattung der Mainstream-Medien über den Zürcher Historiker und Nationalrat Position bezogen, auch wenn es selbst für erfahrene und wohlmeinende Journalisten nicht einfach ist, zur Privatperson Mörgeli hinter dem Politiker vorzudringen. Bei aller Medienpräsenz ist denn auch auffallend wenig über ihn bekannt: Er gilt als intellektueller Stratege der Partei, ist Titularprofessor und Konservator des Medizinhistorischen Museums Zürich. «Ein Museum, in dessen Regalen sogar noch Gruseligeres zu finden sei als hinter dem Schreibtisch des Konservators», so ein gerne geflüsterter, schlechter Witz seiner Widersacher im Bundeshaus. Daneben weiss man vielleicht noch, dass er Vizepräsident der Europäischen Totentanz-Vereinigung ist und dass in seinem Handy die Kurzwahl 1 für Blocher und 2 für Tele Züri gespeichert ist. Und: Dass er leidenschaftlich Presseartikel über treue Hunde sammelt, die kurz nach dem Tod ihres Herrchens ohne medizinische Erklärung selbst eingangen sind.
«Ein unheimlicher, scharfsinniger Professor, der eine morbide Passion für Totentänze hat, inmitten von anatomischen, in Formaldehyd eingelegten Missbildungen», resümierte schon 2003 Carol Salm-Richter in einem viel beachteten Porträt in den, «das könnte ohne Weiteres aus der literarischen Feder eines E.T.A. Hoffmann stammen.» - Sollte an den Gerüchten, die seit neuem in Bundesbern die Runde machen, etwas dran sein, würden diemit ihrem Vergleich mehr Recht gehabt haben, als sie hätten ahnen können.
Die VorgeschichteZur Erklärung muss etwas ausgeholt werden: Die Geschichte führt zurück ins 18. Jahrhundert und in den Schweizer Jura, der just in dieser Zeit zum weltweiten Zentrum der Uhrenfertigung und Feinmechanik avancierte. Zu den ganz Grossen seiner Zeit zählte Pierre Jaquet-Droz (1721?-?1790), der neben komplizierten Uhren vor allem mit seinen drei Androiden (menschlichen Automaten) Erfolge feierte. «L'Écrivain», «le Dessinateur» und «la Musicienne» schrieben, zeichneten und musizierten verblüffend menschengleich und tourten während Jahrzehnten durch ganz Europa (heute eine Hauptattraktion im Kunsthistorischen Museum Neuenburg). Für Jaquet-Droz öffneten sich die Tore zu den europäischen Königshäusern in Paris, London und Madrid. Lange hielt sich damals das Gerücht, Jaquet-Droz hätte im Auftrag des französischen Königs Ludwig XVI. an einem vierten, noch genialeren Androiden gearbeitet. Tatsächlich lassen sich in den Rechnungsbüchern des Versailler Hofs Zahlungen von mehreren Zehntausend Francs an Jaquet-Droz nachweisen, darüber hinaus präsentiert sich die Quellenlage jedoch sehr karg. Jaquet-Droz erwähnt in seinen Handschriften mehrfach die Arbeit an einem Mechanismus, den er «Le Loyaliste» nennt. Und im Spätwerk des Neuenburger Jakobiners Jean Paul Marat findet sich die Schilderung eines programmierbaren Androiden «mit stechendem Blick, welcher mit schnarrender Stimme politische Reden halten» konnte. Ob Jaquet-Droz einen solchen Apparat je in Angriff nahm oder gar fertiggestellt hat, liegt dennoch im Dunkeln.
Erst vor wenigen Monaten hat eine Entdeckung im Neuenburger Kantonsarchiv die alte Legende wiederbelebt: Ein Eintrag aus dem Jahr 1976 vermerkt vage den Verkauf eines «Mechanisme humanoide N° 4» an einen anonymen «Zürcher Kunstsammler». Es ist dasselbe Jahr, in dem im Umfeld Blochers erstmals ein gewisser Christoph Mörgeli von sich reden macht. Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt vorschnelle Schlüsse sicher unangebracht sind, würde die Entdeckung am Mysterium Mörgeli einiges erklären: Die antiquierten Wertevorstellungen, die Faszination für den Tod, den er selbst nicht kennt, das blecherne Abspulen der immer gleichen Rhetorik, auch die über Jahrzehnte gleiche Frisur oder der irritierende Umstand, dass die Augen stets gleich hypnotisierend starren, selbst wenn sich der Mund krampfthaft zu einem Lächeln formt. Vielleicht war dieser Konstruktionsmangel auch der Grund, warum Pierre Jaquet-Droz den «Loyalisten» zu Lebzeiten nie der Öffentlichkeit vorgestellt hat.