Recht auf Freiheit und Verantwortung

Andreas Thiel | veröffentlicht am 01.06.2012

Satiriker Andreas Thiel hat einem befreienden Gespräch zwischen einem Journalisten und einem Schriftsteller verantwortungsbewusst zugehört.

Recht auf Freiheit und Verantwortung
(Nebelspalter)

Journalist: Was ist das höchste Ziel eines Schriftstellers?
Schriftsteller: Ein Schriftsteller will eigentlich nur gelesen werden.
Journalist: Was treibt einen dazu, die Risiken eines kreativen Berufs einzugehen?
Schriftsteller: Die Freiheit.
Journalist: Ist die Freiheit denn so wertvoll?
Schriftsteller: Die Freiheit ist unser höchstes Gut.
Journalist: Was ist der Preis für die Freiheit?
Schriftsteller: Man hat als Schriftsteller eine grosse Verantwortung.
Journalist: Und wovon leben Sie?
Schriftsteller: Von meinen Büchern.
Journalist: Aber die sind doch alle subventioniert.
Schriftsteller: Äh - ja.
Journalist: Also leben Sie nicht von den Büchern, sondern von den Subventionen.
Schriftsteller: Nennen wir es Kulturförderung.
Journalist: Wenn Künstler Sozialhilfe beziehen, nennt man das Kulturförderung?
Schriftsteller: Ohne Kulturförderung gäbe es keine Kultur.
Journalist: Wieso nicht? Sie waren doch früher mal Werbetexter. Damit könnten Sie auch heute noch nebenbei Geld verdienen. Auch könnten Sie hin und wieder ein paar Artikel für die Presse schreiben und zwischendurch mal was Lustiges für den Nebelspalter. Dann könnten Sie sich selbst subventionieren.
Schriftsteller: Mein Verlag möchte nicht, dass ich nebenbei noch arbeite.
Journalist: Wieso nicht?
Schriftsteller: Das schadet meinem Image als seriöser Schriftsteller.
Journalist: Zu arbeiten, um Geld zu verdienen, schadet Ihrem Image?
Schriftsteller: Ja, das wäre verantwortungslos.
Journalist: Auch wenn Sie zu wenig Bücher verkaufen, um davon leben zu können?
Schriftsteller: Das hat nichts damit zu tun. Als Schriftsteller habe ich ein Recht darauf, gelesen zu werden.
Journalist: Ist Ihr Verlag auch subventioniert?
Schriftsteller: Ja, ohne Subventionen könnte er nicht überleben.
Journalist: Wieso nicht?
Schriftsteller: Es ist ein seriöser Verlag.
Journalist: Heisst das, er publiziert keine Bücher, die gelesen werden?
Schriftsteller: Nein, auf dieses Niveau lässt er sich nicht herab.
Journalist: Sie treten ja auch für einen besseren Urheberrechtsschutz im Internet ein.
Schriftsteller: Ja, unbedingt. Es geht nicht, dass sich jeder im Netz Texte runterlädt, die ihm gar nicht gehören.
Journalist: Aber Ihre Texte gehören doch der Öffentlichkeit.
Schriftsteller: Wieso?
Journalist: Die Öffentlichkeit hat Ihre Bücher mit den Subventionen bereits bezahlt.
Schriftsteller: Aber die Subventionen sind doch nicht die Honorare für meine Texte, sondern nur dazu da, dass ich davon leben kann.
Journalist: Also doch Sozialhilfe?
Schriftsteller: Als seriöser Schriftsteller habe ich ein Recht darauf, nicht von jedem gelesen werden zu müssen.
Journalist: Der Urheberrechtsschutz schützt Sie vor unliebsamen Lesern?
Schriftsteller: Stellen Sie sich vor, ein Rechtsextremer liest mein Buch und empfiehlt es dann auch noch weiter - furchtbar.
Journalist: Sind Sie denn schon einmal von einem Rechtsextremen weiterempfohlen worden?
Schriftsteller: Was weiss ich? Denen traue ich alles zu.
Journalist: Werden Ihre Texte oft aus dem Netz runtergeladen?
Schriftsteller: Keine Ahnung. Ich glaube nicht. Meine Bücher sind gar nicht im Netz.
Journalist: Was haben Sie denn gegen das Netz? Es verbreitet doch gerade auch Texte unglaublich schnell bis in jeden Winkel der Erde.
Schriftsteller: Eben gerade nicht. Es gibt in Afrika noch viele Dörfer, die gar keinen Internetanschluss haben.
Journalist: Und solange nicht alle Dörfer dieser Welt angeschlossen sind, möchten Sie nicht, dass diejenigen, die bereits online sind, Ihre Bücher lesen können, weil das diskriminierend wäre gegenüber jenen, welche nicht online sind?
Schriftsteller: Jedenfalls möchte ich nicht gelesen werden, ohne dass jemand dafür bezahlt.
Journalist: Aber Ihre Bücher wurden doch schon vom Staat bezahlt. Haben die Steuerzahler kein Recht darauf, sich das, was sie da bezahlt haben, mal anzuschauen?
Schriftsteller: Ich sehe, Sie verstehen gar nichts von Kunst.
Journalist: Diese Gefühl überkommt mich langsam auch.
Schriftsteller: Schauen Sie sich mal die Piratenpartei an. Die wollen alles frei zugänglich machen. Wo kämen wir da hin, wenn alles frei verfügbar wäre?
Journalist: Wieso? Das ist doch der Traum jedes Sozialisten. Wenn der Staat schon die Künstler bezahlt, und die Kunst dann allen frei zugänglich ist, dann müsste das für jeden Sozialisten das Paradies sein.
Schriftsteller: Aber die Piraten haben doch gar kein Parteiprogramm.
Journalist: Nein? Dann müssen wir sie unbedingt wählen! Eine Partei ohne Vorschläge, wie man das Leben noch mehr regulieren könnte, ist die einzige Rettung, die noch bleibt.
Schriftsteller: Aber das sind Internetpiraten!
Journalist: Und was ist ihre Beute? Ist ihr Geschäft Lösegelderpressung? Nein, sie erbeuten nur Freiheit.
Schriftsteller: Frei ist nur, wer vom Staat subventioniert wird.
Journalist: Ach? Ich bin neulich mit 200 Flaschen Wein über die Grenze gefahren und wurde nicht kontrolliert. Also musste ich auch keinen Zoll zahlen. Wie habe ich mich darüber gefreut. Ich habe mich so frei gefühlt. Aber wenn man als Bürger glücklich ist, wenn man schon nur nicht bestraft wird, dann stimmt etwas nicht.
Schriftsteller: Sie sind bloss verantwortungslos.
Journalist: Nein, nur freiheitsliebend.
Schriftsteller: Wenn Sie sich die Freiheit nehmen, dem Staat kein Geld zu geben, dann rauben Sie mir die Freiheit, vom Staat Geld zu erhalten.
Journalist: Ich verstehe - die Verantwortung übernehmen, kein Geld zu verdienen, kann nur, wer sich die Freiheit nimmt, die anderen bezahlen zu lassen.

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