
Lesen Sie die aktualisierte Neuauflage des weltbekannten Romans von Alistair MacLean.
Es war in den schweren Zeiten des ersten Euroland-Kriegs. Ganz Europa stand unter der Herrschaft des Euro, jener Einheitswährung, die kleinen unschuldigen Ländern aufgezwungen wurde. Unter dem Diktat der Achsenmächte der EU galt es als unmöglich, aus der Währungsunion auszutreten, denn wer sich aus dem monetären Würgegriff befreien wollte, der wurde mit Milliarden von Euro förmlich bombardiert. Länder wie Irland wurden mit Hilfszahlungen mundtot gemacht; ihre Proteste wurden in Geld erstickt. Ein schrulliges kleines Land weigerte sich je-doch beharrlich, dem Spardiktat Folge zu leisten: Griechenland, letzte Bastion freier Selbstbestimmung unter freien Europäern. Griechenland, die erste und letzte Hoffnung der Demokratie. Würde Griechenland von Brüssel in die Knie gezwungen, wäre das Recht zu streiken für alle Zeiten verloren.
Nur noch im schweizerischen Réduit waren Geschützstände von ähnlicher Grössenordnung zu finden, eine von Menschenhand in den Fels gehauene Höhle, eine Kanone beherbergend, die als unangreifbar galt: die Kanone von Navarone. Nicht umsonst hatte das Oberkommando den Margin Call an Pech, Gewinn und Nieviel gerichtet, weil ihr Ruf als hochexplosive Sprengstoff-Spezialisten selbst noch jenen des Rütli-Bomber übertraf. Der Auftrag, die Kanone so hoch wie die Facebook-Aktie in die Luft zu jagen, ging an Gregory Pech, den überbezahlten Super-Star, und Anthony Gewinn, der immerfort mit einem Griechen namens Sorbas verwechselt wurde, sowie David Nieviel, britischer Erfinder des Bleistift-Schnurrbarts.
Die drei tauschten einen sorgenvollen Blick aus, als sie ihr eigenes Insolvenzrisiko abwägten. «Das dürfte so schwer sein, wie die Untergrenze des Euro zu verteidigen, Sir», merkte Pech an, ohne es wie Ungehorsam klingen zu lassen. «Die Kanone von Navarone ist so wenig gegen Angriffe immun wie Christoph Blocher», gab ihr Kommandant zurück. «Wenigstens», wandte Gewinn optimistisch ein, «bekommen wir es nur mit der zweitbesten Armee der Welt zu tun.» Es war in Militärkreisen eine anerkannte Tatsache, dass die «beste Armee der Welt» in der neutralen Schweiz stand, wo sie niemandem ausser sich selbst schaden konnte.
«Sie brauchen nur ein bisschen Glück, Pech», merkte der Kommandant an. «Unsere Verluste», gab Nieviel zu bedenken, «werden nicht gering sein. Ich würde sogar sagen, unser Business Survival ist infrage gestellt.» Der Kommandant setzte ein ernstes Gesicht auf, um den dreien die Tragweite ihrer Mission auseinanderzusetzen: Die griechischen Widerstandskämpfer erwarteten an jenem schicksalhaften Wahlsonntag voll fieberhafter Ungeduld eine Ladung Eurobonds, die durch die Meerenge nach Athen geschmuggelt werden sollte. Gefahr dräute von der Nachbarinsel Navarone, wo deutsche Ingenieure die radargesteuerte Kanone installiert hatten, die jede Ersatzwährung umgehend versenkte. Die Kanone von Navarone war ein verbessertes Modell der «dicken Bertha», von ihren Feinden aus einer Mischung von Angst und Respekt die «dicke Angela» genannt. Die Griechen hatten gegen diese Geheimwaffe der Deutschen gestreikt ? erfolglos. Pech, Gewinn und Nieviel blickten sich erneut an, dieses Mal nicht skeptisch, sondern entschlossen: Dem Bösen musste Einhalt geboten werden, selbst unter Einsatz aller Aktiven.
Athen war in hellem Aufruhr. Die Griechen führten eine neue olympische Marathon-Disziplin durch, den «Bank-Run». Die sportliche Herausforderung lag darin, täglich 500 Millionen Euro von der Bank abzuheben und auf Eselskarren und Lasttieren wegzuschaffen. Sieger gab es keine, und zahlreiche Griechen streikten gegen diesen Sport.
Gregory Pech, Anthony Gewinn und David Nieviel nutzten die allgemeine Verwirrung des griechischen Wahlsonntags, um unentdeckt voranzukommen. Zudem trugen sie zur Tarnung Uniformen der Armasuisse, die zu Mindestlöhnen in Mazedo-nien hergestellt worden waren. Sie schlichen sich geräuschlos durch die Hedgefonds, vorbei an ausgebrannten Finanzinstituten, und waren Angriffen von Spekulanten ausgewichen. Einmal gerieten sie mit griechischen Streikbrechern aneinander, die sie mit aller Gewalt von der Arbeit abhalten wollten.
Das grösste Hindernis lag noch vor ihnen: Sie hatten den Berg zu erklimmen, an dessen Spitze die Kanone stand; ein Berg, der völlig aus griechischen Schuldverschreibungen bestand. Nieviel stürzte um ein Haar ab, als er seinen Fuss unglücklich auf eine Aktie der Credit Suisse setzte, die prompt einbrach und wie ein Stein in die Tiefe fiel. «Da hat nicht viel gefehlt», pfiff Nieviel durch die Zähne. Mit einem letzten schweisstreibenden Klimmzug zogen sie sich endlich zum Geschützstand hoch, wo ein gezielter Schuldenschnitt den Wachtposten ausser Gefecht setzte.
Die «dicke Angela» übertraf selbst ihre wildesten Erwartungen. Aus nächster Nähe wirkte sie doch einiges grösser als im Fernsehen, und ihre laute Röhre war bereit, Euros auszuspucken, nachzudrucken und weiter zu schiessen. «Schnell jetzt», sagte Pech, «wenn man uns hier erwischt, schickt man uns über den Jordan.» Gewinn verstand zwar nicht, was die Eile mit dem Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank zu tun hatte, brachte aber umgehend ein Sprengpaket an der Kanone an. Dass er in der Eile ein Sparpaket anbrachte, hätte sich fatal auswirken können, wenn Nieviel ihn nicht auf seinen Irrtum hingewiesen hätte. In der Meerenge erschien bereits der Transporter, der die Eurobonds brachte, und an den Stränden unten rotteten sich streikende Griechen zusammen, die teilweise für die Eurobonds, teilweise dagegen streikten; einige streikten für den Drachme, andere streikten gegen jene, die für den Drachme streikten.
Auf dem Gipfel waren unsere Helden drauf und dran, die Lunte mit einer abgewerteten CS-Aktie anzuzünden, als eine deutsche Stimme Einhalt gebot: Oswald Übel. Er war mit toxischen Ramschpapieren der UBS bewaffnet, die er jederzeit auf den Markt werfen konnte. «Griechenland muss am Euro festhalten, sonst zerfällt die EU!», hallte seine tiefe Stimme durch die Höhle. «Das ist Übel», stellte Gewinn fest. Gegen einen solchen Deutschen würde selbst das Verhandlungsgeschick einer Eveline Widmer-Schlumpf nichts ausrichten. Sie schreckten auf, als plötzlich ein weiterer Mann sie mit einem Revolving Credit in Schach hielt. An seiner fatalistischen Haltung erkannten sie ihn: Es war kein anderer als Philipp Hinterhalt, Ex-Chef der Nationalbank. Und was sie zuerst für seinen Schatten hielten, war tatsächlich seine Frau. «Das ist zu viel!», sagte Nieviel. «Sie haben wirklich Pech», lächelte Hinterhalt. Pech nickte zustimmend, und Hinterhalt setzte ihnen auseinander, was er mit ihnen vorhatte: «Der Kurs steht gerade sehr gut! Bei Blackwater werde ich Sie drei eintauschen und dafür vier Idioten zurückwechseln. Ich werde einen hübschen Gewinn einstreichen!»
Gewinn wusste nicht, womit er eingestrichen werden sollte, und er würde auch nicht darauf warten. Beherzt griff er nach dem Einzigen, was sie aus dieser verfahrenen Situation retten könnte: einem Rettungsschirm. «Bailout! Bailout!», rief er seinen Kameraden zu, und mit dem Mut eines Kleinunternehmens sprangen sie gemeinsam in die Tiefe und schwebten am EU-Rettungsschirm zu Boden.
Die beiden Ex-Bankenchefs reagierten auf diese Veränderung des Marktes zu spät. «Wir sind mit unseren Aktiva davongekommen, viel mehr kann man nicht erwarten», fand Nieviel. «Doch gewonnen haben wir nicht», bilanzierte Gewinn unzufrieden. «Aber wir tragen nicht die Schuld an dieser Nettoverschuldung», fand Pech. Sie konnten nicht wissen, dass hinter ihnen der Berg aus griechischen Schuldverschreibungen wankte, um dann endlich wie ein gewaltiges Erb-Firmenkonstrukt in sich zusammenzufallen. Schöner wäre es nur noch gewesen, wenn Gerry Hofstetter es beleuchtet hätte. An ihrem Rettungsschirm vollbrachten sie eine Punktlandung auf einer immer kleiner werdenden Kostenbasis. Gerettet waren sie jedoch keinesfalls. Denn durch die Neuwahlen bröckelte unter ihren Füssen der günstige griechische Boden, als die Inselgruppe sich knirschend vom europäischen Kontinent löste und in einzelnen Immobilien wegdriftete, bald nur noch eine vage Erinnerung wie ein Versprechen auf eine Dividende. * ENDE *
Roland Schäfli