
Lange Zeit gehörte ich zu jener Minderheit, die das weltweite Image-Problem, von dem unsere eigenen Medien seit der Nazigold-Debatte der 1990er-Jahre immer wieder berichten, als Trugbild unseres Schweizer Minderwertigkeitskomplexes ansah.
Finanzkrise und Steuerstreit haben nun dazu geführt, dass daraus ein echtes Problem geworden ist.
In den vergangenen Wochen hat sich die Lage zugespitzt: In den USA wurde bei Präsidentschafts-Herausforderer Mitt Romney allein der zeitweilige Besitz eines Schweizer Bankkontos als Beweis für dunkle Machenschaften und als Argument gegen seine Wählbarkeit gehandelt. Und deutsche Medien brandmarkten die Schweiz auf dem Hintergrund des umstrittenen Steuerabkommens als real existierenden Schurkenstaat. Wer derzeit in Köln oder Berlin erwähnen muss, aus der Schweiz zu stammen, kriegt zu spüren, was Kollektivschuld bedeutet.
Dies führt dazu, dass ich, um nicht von Wildfremden als Systemparasit oder Zürcher Bankengnom angepflaumt zu werden, bei Auslandsreisen in der Check-in-Schlange meinen Schweizer Pass möglichst versteckt halte (bis vor Kurzem präsentierte fast jeder Schweizer noch stolz sein Signalrot). Und nicht nur das: Um in Paris, London oder Barcelona nicht gleich von allen als Eidgenosse erkannt zu werden, verzichte ich sogar auf die hässlichen Funktionskleider, Outdoor-Textilien und Nylon-Rucksäcke, mit denen Schweizer sonst konsequent ins Ausland verreisen.
Die aktuelle Zwangslage ist gleich eine zweifache: Während das Land immer mehr zur konturlosen Grossagglo verkommt, die nichts mehr mit der beworbenen Heidiland-Idylle zu tun hat, marschieren wir sehenden Auges ins nächste Imagedebakel: Nach dem unethischen Finanzplatz wird zwangsläufig auch die unethische Rohstoffhandels-Drehscheibe Kontroversen befeuern. Etwas wird aber auch bei der nächsten Debatte gleich bleiben wie bei den zurückliegenden: Dass es den meisten Akteuren gar nicht um Ethik, sondern um Profite geht. Auf beiden Seiten.