Glück im Unglück

Roland Schäfli | veröffentlicht am 31.01.2013

Sie glauben, der Aberglauben habe sich in der Schweiz mit der letzten verbrannten Hexe in Rauch aufgelöst? Dann glauben Sie falsch.

Glück im Unglück
Lothar Otto | (Nebelspalter)

Der Irrglaube ist in der Schweiz so weit verbreitet, dass man ihn kaum noch als solchen erkennt, weil wir ihn längst als normal angenommen haben.

Wir Schweizer schwören mit drei Fingern. Wir fahren auf der rechten Seite. Wir legen Wert darauf, dass das Messer rechts, die Gabel links vom Teller liegt. Wir wünschen einem Niesenden regelmässig «Gesundheit!», selbst wenn wir ihm eigentlich ein Krebsgeschwür wünschen. Beim Kerzenausblasen am Geburtstag und beim Erblicken einer Sternschnuppe haben wir einen Wunsch frei. Und den haben auch Sie noch nie darauf verschwendet, sich von Aberglauben frei zu wünschen, stimmts? Es ist also wahr: Sie, lieber Leser, sind nicht weniger abergläubisch als wir anderen Heiden. Auch wenn Sie sich Ihre Warzen heute weglasern, statt eine Schnecke drüberkriechen zu lassen.

Wir lehren unsere Kinder schon früh abergläubische Riten: «Links gehen, Gefahr sehen!» Am 7. Wochentag wird ein Ruhetag eingelegt, weil 7 eine Glückszahl ist. Und gebetsmühlenartig wiederholen wir «Hunde, die bellen, beissen nicht», auch wenn uns der bellende Bless schon am Hosenboden hängt. Viele Zeitgenossen halten sich an die überlieferte Weisheit «Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus», obwohl es empirisch messbar ist, dass überhaupt nichts aus dem Wald herausschallt, ganz egal, wie laut man hineinruft. Solche Sprüche sind nämlich in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und bleiben auch dann noch erhalten, wenn Historiker ihren tatsächlichen Ursprung belegen. Zum Beispiel gilt als erwiesen, dass Arbeitgeber abergläubische Redensarten selbst in Umlauf brachten, um die Arbeitnehmer zu mehr Leistung anzutreiben: Generationen von Schweizern sind aufgrund von «Morgenstund hat Gold im Mund» frühmorgens aus dem Bett gehüpft, um ihren Schlund nach Gold zu durchsuchen. Doch nie hat ein Arbeiter dort auch nur ein Körnchen Wahrheit gefunden, geschweige denn Gold. Die abergläubischen Sprüche «Einmal ist keinmal» und «Jeder ist seines Glückes Schmid» wurden nachweislich von den Schweizer Spielcasinos unter Gutgläubigen in Umlauf gebracht. Und an Geheimtreffen von Pädagogen (heute der Schweizer Lehrerverband) soll der Spruch «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr»geprägt worden sein, um Kinder arglistig zu mehr Leistung anzutreiben, selbst solche, die nicht einmal Hans heissen.

Lokale Bräuche als dumpfen Aberglauben zu verspotten, wäre allerdings eine Herabwürdigung unserer volkstümlichen Traditionen. So ist etwa in Zürich das Verbrennen eines Bööggs zum Vertreiben des Winters ein ebenso werterhaltender Brauch wie das Werfen eines Glückssteins am 1. Mai zur Vertreibung des bösen Kapitalismus, während im Appenzell auch weiterhin Hunde verspiesen werden,um für gute Ernte zu garantieren. Amulette, früher etwa die Hasenpfote, wurden in der Schweiz abgelöst vom Autoschlüssel, den man stets im Hosensack trägt, und den man in dunklen Parkhäusern bereits zur Hand nimmt, lange bevor das Auto erreicht ist, und daran reibt, als verfüge er über die magische Kraft, Böses abzuwenden.

Bauernregeln aus alter Zeit haben, leicht modifiziert, ihre Gültigkeit behalten: Oft zitiert werden «Gibts im Januar Wind vom Osten, tuts den Steuerzahler Subventionen kosten»und «Am Neujahrstage Sonnenschein, bringt dem Bauern Direktzahlungen ein.»

Menschen in Risiko-Berufen schaffen sich auch in moderner Zeit ein vermeintlich sicheres Umfeld, in dem sie sich auf abergläubische Handlungen verlassen. Sänger wie Gölä glauben, es bringe Unglück, wenn er nicht auch das kleinste Ereignis sogleich dem «Blick» mitteilt. Insbesondere Berufspolitiker gelten als abergläubisch. So lässt etwa Natalie Rickli jede 13. Nationalratssession aus, Karin Keller geht in Bern nie nach Schlag zwölf Uhr nachts auf die Strasse, und Phi­lipp Müller zeichnet mit der Schuhspitzeein Kreuz auf den Boden, auf das er dreimal spuckt, wenn Eveline Widmer-Schlumpf seinen Weg kreuzt.

Ebenso formelhaft beschwören Berufspolitiker die sogenannte Konkordanz. Dabei handelt es sich um ein Schweigegelübde unter Bundesräten und den Irrglauben, es bringe einer Partei Unglück, wenn ein Exekutivmitglied nicht genau das sagt, was zuvor im Geheimen abgemacht wurde. Häufig entsteht auch ein privater Aberglaube aus der Verknüpfung von Unglückserlebnissen mit zufälligen Begleiterscheinungen. So stellt etwa die Schweizerische Volkspartei eine kausale Verknüpfung zwischen der Abwahl ihres Bundesrats und sämtlichem Pechher, das seither über sie hereingebrochen ist.

Ja, selbst das Heft, das sie in Händen halten, wurde von abergläubischen Menschen publiziert, die die Seitennummern durchnummerierten, ohne dass dies einen praktischen Grund hätte. Aber eben: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Sie glauben noch immer nicht an Aberglaube? Dann erklären Sie sich doch einmal Folgendes: Wenn die katholischen Riten lediglich Irrglauben wären, warum funktionieren dann Kruzifix und Hostie gegen Vampire? Eben. Abschliessend sei noch beantwortet, ob es nun Unglück bringt, abergläubisch zu sein: Nein. Nicht, wenn Sie in einer Vollmondnacht eine tote Katze in Ihrem Garten begraben.

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