Jacqueline Badran

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 04.04.2013

Ein Platz in einer mittelalterlichen Stadt. Einer Zeit, lange bevor es aufgeklärte Medien für mündige Bürger gab. Drei Schandpfähle in der Mitte des Platzes. Eine menschliche Gestalt, von oben bis unten mit Unrat bedeckt, wird auf eine Schubkarre gehoben und abtransportiert...

Jacqueline Badran
Michael Streun | (Nebelspalter)

Eiermann: Eier, faule Eier!
Gemüsefrau: Schimmelige Tomaten!
Stallknecht: Frische Pferdeäpfel!

Ein Reisender tritt an die Marktschreier heran und deutet auf die Schubkarre.

Reisender: Der Pillenverkäufer?
Eiermann: Ja, der hats hinter sich.
Gemüsefrau: Es heisst, er wird sich bald nach Amerika absetzen.
Stallknecht: Oder besser - er wird bald in Amerika abzocken.
Reisender: Aber sagt man nicht auch, er habe mit seiner Firma Tausende von Arbeitsplätzen gesichert und geschaffen?
Eiermann: Das interessiert doch keinen!

Gemüsefrau: Halt, halt, ich höre Spucken, ich höre Treten, ich höre Buhrufe!
Stallknecht: Sie bringen einen Neuen!
Eiermann: Eier, faule Eier!
Gemüsefrau: Schimmelige Tomaten!
Stallknecht: Frische Pferdeäpfel!

Eine Person wird an den ersten Pranger gekettet und von allen Seiten beworfen.

Reisender: Es ist eine Frau. Was hat sie getan?
Eiermann: Sie hat stinkfrech ein Rauchverbot missachtet.
Gemüsefrau: Und sie hat gesagt, als Nationalrätin dürfe sie das.
Stallknecht: Und sie hat Angestellte und Gäste beschimpft.
Reisender: Wer sagt das? Gibt es Beweise?
Eiermann: Das interessiert doch keinen!
Reisender: Aber sagt man nicht auch, sie sei eine engagierte Politikerin, an deren Arbeit es nichts zu kritisieren gibt?
Stallknecht: Na und? Wir machen hier auch nur unsere Arbeit.
Eiermann: Und so eine soll ein Vorbild sein!

Gemüsefrau: Halt, halt, ich höre Spucken, ich höre Treten, ich höre Buhrufe!
Stallknecht: Sie bringen einen Neuen!
Eiermann: Eier, faule Eier!
Gemüsefrau: Schimmelige Tomaten!
Stallknecht: Frische Pferdeäpfel!

Eine Person wird an den zweiten Pranger gekettet und von allen mit Unrat beworfen.

Reisender: Es ist ein Mann. Was hat er denn getan?
Eiermann: Man hat in seinem Keller eine Flagge gefunden.
Gemüsefrau: Eine Flagge, die von anderen als Ersatz für ein verbotenes Kreuz verwendet wird.
Stallknecht: Niemand kann mir weismachen, der hätte nicht gewusst, dass sowas nicht genauso schlimm ist wie das verbotene Kreuz selbst.
Reisender: Aber man sagt, der grösste Teil des Volks hätte die Flagge auch nicht gekannt, bevor die Geschichte bekannt wurde.
Eiermann: Das interessiert doch keinen!
Stallknecht: Wir machen hier auch nur unsere Arbeit.
Eiermann: Und so einer soll ein Vorbild sein!

Gemüsefrau: Halt, halt, ich höre Spucken, ich höre Treten, ich höre Buhrufe!
Stallknecht: Sie bringen einen Neuen!
Eiermann: Wir haben eine Glückssträhne!
Alle drei: Faule Eier! Schimmelige Tomaten! Frische Pferdeäpfel!

Eine Person wird an den dritten Pranger gekettet und von allen Seiten beworfen.

Reisender: Es ist ein Mann. Was hat er denn angestellt?
Eiermann: Er hat die Doktorhüte zu leicht verteilt.
Reisender: Aber man sagt, an Mediziner würden Doktorhüte ganz allgemein vergleichsweise einfach vergeben.
Eiermann: Das interessiert doch keinen!
Stallknecht: Hören Sie, wir machen hier auch nur unsere Arbeit.

Reisender: War das nun der Letzte?
Stallknecht: Es kommt immer ein Neuer!
Gemüsefrau: Es gibt immer etwas zu bespucken, es gibt immer einen zu treten!
Eiermann: Es gibt immer einen, den wir uns nicht mehr zum Vorbild nehmen können!
Reisender: Aber man sagt, euer Land habe viel wichtigere Probleme zu lösen.
Eiermann: Das interessiert doch keinen.
Stallknecht: Das gehört nicht zu unserer Arbeit.

Artikel erschienen in der Ausgabe

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