Pascal Gentinetta

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 04.07.2013

Keine Angst, wir gehen das Thema behutsam und Schritt für Schritt an. Sie sind natürlich nicht allein, wenn Ihnen der Name Pascal Gentinetta spontan wenig sagt.

Pascal Gentinetta
Michael Streun | (Nebelspalter)

Auch wir beim «Nebelspalter» haben in den vergangenen Wochen kaum etwas anderes getan, als jede Minute die Website des britischen «Guardian» zu aktualisieren, in ständiger Angst vor der nächsten, noch grösseren Geheimdienst-Enthüllung, während wir die Bürowände nach verdächtigen Hohlräumen abklopften, die Blumensträusse nach Mikrofonen durchsuchten und die Webcam mit «Yes we scan!»-Haftnotizen überklebten.

Recherchen dieser Zeitschrift zeigen nun aber auf, dass es jenseits der Nachrichten um Edward Snowden in den vergangenen Wochen eine unbekannte, hohe Zahl weiterer Newsmeldungen gegeben haben muss. Dokumente, die der «Nebelspalter» einsehen konnte, deuten zum Beispiel darauf hin, dass dem Wirtschaftsverband Economiesuisse derzeit etliche Ziegel im Dach fehlen. Nach einem NZZ-Bericht, der uns anonym von Quartierpöstler Jakob Frommenwyler zugespielt worden ist, haben Verbandspräsident Rudolf Wehrli und Geschäftsführer Pascal Gentinetta bereits ihre Rücktritte gegeben.

Um die Tragweite der Ereignisse richtig einordnen zu können, wollen wir allerdings auch für diejenigen etwas ausholen, die über  diese «Wirtschaft» nur wissen, dass es sich um eine perfide Erfindung der Reichen und Mächtigen handelt, mit der das Volk ausgebeutet und arm gehalten werden soll. Einen ersten fatalen Boom erlebte dieses «Wirtschaft» mit der sogenannten industriellen Revolution, was eine lange Ära glückseliger Jahrhunderte beendete, in denen Bauern, Mönche und Ritter gleichberechtigt und friedfertig Feldfrüchte gegen Gebete und Waffenschutz tauschten.

Wie heute noch - denken Sie an Ägypten - brachten schon damals Revolutionen nur selten etwas Gutes hervor. Eine Verkettung unglücklicher Zufälle (aufklärerisches Geschwurbel, fatale wissenschaftliche Fortschritte, verfügbares Kapital, liberale Kantone, innovative Flüchtlinge aus dem Ausland) führte dazu, dass die industrielle Revolution die idyllische Schweiz innert zwei Jahrhunderten in jenen Unort verwandelte, der sie heute ist. Von Genf bis St. Margrethen erstreckt sich ein Siedlungsbrei voller biederer Häuschen und voller Firmen, in denen die Schweizer für die Finanzierung ihrer Kleinbürgerträume schuften und Dinge produzieren, die sie zur Erfüllung ihrer Kleinbürgerträume glauben erwerben zu müssen.

Natürlich war die Schweiz nicht als einziges Land von der Ausbreitung von diesem «Wirtschaft» betroffen, aber hier geschah das über lange Zeit besonders tiefgreifend. Ein Hauptgrund dafür war die enge Symbiose, die diese «Wirtschaft» mit der Politik eingegangen war und so die üblen Absichten verschleiern konnte. Es kommt nicht von ungefähr, dass man den Vorort (wie dieser Wirtschaftsverband einst hiess) auch als «achten Bundesrat» bezeichnete. Eine Funktion, die später auch der Ringier-Publizist Frank A. Meyer bekleidete, ehe mit der Wahl des halben Bundesrats Samuel Schmid die ganzzahlige Zählweise aufgegeben werden musste.

Heute hat sich die Politik aus der Umklammerung dieser «Wirtschaft» befreit und die Mehrheit der Bürger weiss sehr genau, dass von hier nichts Gutes zu erwarten ist. Zu einem guten Teil ist diese «Wirtschaft» selbst an der Krise schuld: Sie wurde nicht nur immer reicher und mächtiger, sondern auch immer anonymer, globalisierter und egoistischer, so dass es ihr kaum mehr möglich war, wie ein «achter Bundesrat» mit einer Stimme zu sprechen und so das Volk zu manipulieren.

Auf die Rücktritte von Rudolf Wehrli und Pascal Gentinetta gibt es deshalb nur eine Antwort: Die Vakanzen sind gar nicht mehr zu besetzen. Der achte Bundesratssitz kann im Turnus von «Greenpeace», «Max Havelaar» und «Slow Food» besetzt werden. Die «Wirtschaft» hat den Bogen überspannt, sie steht zu Recht unter Generalverdacht. Stattdessen sollte man noch stärker auf staatliche Regulierung setzen, das bedeutet immerhin demokratische Prozesse - jedenfalls dort, wo nicht von Brüsseler Kommissionen, Strassburger Richtern oder US-Steuerfahndern entschieden wird. Und wenn dadurch unser Lebensstandard sinkt: Auch gut, dann plagt uns das schlechte Gewissen gegenüber Drittweltländern weniger. Hauptsache ist eh, dass niemand zwölfmal mehr einsackt als unsereiner. Oder höchstens ein guter Tennisspieler. So einer hats schon verdient.

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