Wie intolerant ist die Schweiz?

Beni Frenkel | veröffentlicht am 30.10.2013

Immer mehr Jugendliche aus Albanien, Kosovo, Montenegro und so weiter werden Opfer von fragwürdigen Klagen. Sie werden angespuckt, provoziert und nicht in Discos eingelassen. Wie steht es um unsere Gesellschaft? Stimmt es vielleicht doch, dass alle Schweizer Rassistenschweine sind?

Wie intolerant ist die Schweiz?
Philipp Ammon | (Nebelspalter)

Angefangen hat alles mit einer Schlägerei vor dem «Palazzo», einem beliebten Club in Oberwinterthur. Marco Ivanovic wurde von dem Türvorsteher rüde weggewiesen, und das vor den Augen seiner damaligen Freundin Mirka. Diese Ablehnung hat in der jahrhundertealten Kultur von Marco eine verheerende Wirkung. Der Ex-Jugoslawe schlug dem bulligen Sicherheitsmann die beiden Schneidezähne aus. Ausserdem gingen drei hohe Fenster des Lokals zu Bruch und zwei unbeteiligte Personen erlitten Schaden durch die Keilerei.

Das liegt jetzt schon ein halbes Jahr zurück. Marco kam mit einer bedingten Strafe davon. Wichtige Fragen blieben im Strafprozess für Marco aber unbeantwortet: Warum wurde er weggewiesen? Warum sind die Leute so intolerant? Musste es so weit kommen, weil Marco einen Familiennamen trägt, der mit -ic endet?

In den Medien wird in diesen Zusammenhängen häufig die Herkunft betont. Beim mutmasslichen Täter stehen dann häufig Beschreibungen wie «jugoslawische Abstammung», «baltische Gesichtszüge» oder «kulturell bedingtes Aggressionspotenzial». Doch nur die wenigen interessieren sich für den Ursprung der Gewalttätigkeiten.

Daikan Morisovic ist Rechtsanwalt und kommt ursprünglich aus Onisovic, einer kleinen Vorstadt von Kultovic (in der Nähe Hailovic). Er kennt die Vorurteile, die auch im Gerichtssaal kursieren. Seine Klienten sind häufig Jugendliche, die ebenfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen. Die Delikte sind von kleinerem Ausmass: Handy-Diebstähle, Zähne ausschlagen oder Golf GTI in Hauswand fahren. Meistens kommen die Jugendlichen mit einer Verwarnung durch. Morisovic fragt sich aber, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Für ihn steht klar die Gesellschaft in der Verantwortung: «Warum dürfen meine Delinquenten die Clubs nicht be­treten? Was haben sie eigentlich verbrochen?» Zusammen mit Marco, der jetzt mit Daikans Schwester liiert ist, hat er den Verein «Tolerants» gegründet. Natürlich gab es Spötter, die darauf hingewiesen haben, dass «Tolerants» einen Rechtschreibefehler hat. Marco hat denen dann die Zähne ausgeschlagen. Heute heisst der Verein «Tolerrants».

Im «Tolerrants»-Verein sind heute knapp 30 Personen vertreten, die alle jung, männlich und voller Tatendrang stecken. Die jungen Männer haben in Oberwinterthur schon viel für das friedvolle Nebeneinander der Kulturen bewirkt. Wenn sie heute in voller Mannschaftsstärke in den «Palazzo» gehen wollen, werden sie vom neuen Türvorsteher nicht mehr abgewiesen.

Für Morisovic und Ivanovic ist das ein erster Erfolg. Die beiden können es sich vorstellen, auch in anderen Städten «Tolerrants»-Vereine zu gründen. Eine andere Idee ist auch schon diskutiert worden: In den unteren Fussball-Ligen entstehen häufig Konfliktherde. Vor allem wenn der FC Oberwinterthur III gegen den sehr erfolgreichen FC Hailovic antritt. Laut Morisovic würde ein grosses Aufgebot des «Toler­rants»-Vereins deeskalierend wirken. Ein Strategie-Papier sieht ferner vor, dass man sich am Vorabend eines Spiels telefonisch oder persönlich beim Schiedsrichter meldet. So könnte auf die kulturellen Besonderheiten des Vereins hingewiesen werden und Interesse für die Gesundheit der Freundin des Schiedsrichters angemeldet werden.

Marco Ivanovic wird sich leider in den nächsten drei Monaten nicht mehr um den Verein kümmern können. Irgend so ein dummer Kerl hat ihn wieder mal provoziert und aus Versehen die Zähne dort hingehalten, wo Marcos Faust landete.  Marco muss für drei Monate eine Auszeit aus unserer ach so «toleranten» Gesellschaft nehmen. 

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