
Wir alle wissen: Die oberste Instanz in diesem Land ist der Souverän, und der ist, wie das Orakel von Delphi (bis 391 n. Chr.) oder der Papst (seit 1870), heilig und unfehlbar.
Um auf Nummer sicher zu gehen: Dieser Souverän, das sind wir, also Sie und ich und all die anderen mit dem roten Pass. Falls Sie einen roten Pass besitzen und noch nie von diesem Souverän gehört haben, legen Sie nun diese Zeitschrift zurück und schalten Ihren Fernseher wieder auf «3+». Nun ist es mit dem Souverän so eine Sache - dogmatisch mag er zwar top sein, kommunikativ aber ein totaler Flop. Will heissen: Er hat wohl immer recht, nur weiss niemand, warum, denn er kann irgendwie nur «Ja» oder «Nein». Gut, streng genommen natürlich auch noch «Leer», «Ungültig» und «Macht aus dem Staat Gurkensalat». Aber selbst dazu bequemt er sich nur rund vier Mal pro Kalenderjahr.
Um die Untiefen der Schweizer Seele besser zu verstehen, wurde 1191 am Aarelauf zwischen Thuner- und Bielersee das gfs- Institut gegründet, welches in der Folge zahllose Deuter, Wanderprediger, Quacksalber und Pfründenjäger anzog und so die Bundesstadt Bern entstehen liess. Ein alle vier Jahre verlängerter Monopolvertrag erlaubt es Institutsleiter Claude Longchamp seither, dem Volk politologisch aufs Maul zu schauen.
Mit seinen jüngsten Analysen ist Claude Longchamp nun stark in die Kritik geraten. In einer sogenannten «Exit poll» hatten 108,3 Prozent aller GZ-Fans beim Verlassen des total demolierten Sonderzuges bei Muttenz angegeben, nichts mit den Vandalenakten im Inneren der Wagons zu tun zu haben - eine Zahl, die umgehend von der Grasshoppers-Clubleitung und dem Schweizer Fussballverband als unrealistisch tief kritisiert worden war.
Kurz zuvor hatte Longchamp mit der jüngsten VOX-Abstimmungsanalyse die Öffentlichkeit schockiert. Falls Sie «Vox» genauso gerne sehen wie «3+», sollten Sie hier eigentlich seit 35 Zeilen nicht mehr dabei sein. Die VOX-Behauptung, bloss 17 Prozent aller Unter-30-Jährigen hätten am 9. Februar an der Abstimmung teilgenommen, löste bekanntlich einen wahren Shitstorm gegen den stimmfaulen Demokratienachwuchs aus - bis ernsthafte Zweifel an Aussage und Erhebungsmethode aufkamen. Zum Glück hatten 83 Prozent der Betroffenen von der Debatte nichts mitbekommen, da das Thema «20 Minuten Friday» und «Glanz & Gloria Weekend» nicht aufgegriffen worden war.
Neider sowie Heckenschützen werfen Longchamp eine ganze Reihe von Analysepleiten und Fehlprognosen vor, für die der Mann mir der Fliege aber teils nachweislich nichts kann. So war es etwa der Mann mit dem Schnauz, der 1933 in Bezug auf die Beständigkeit seines Reiches um satte 823?333,3 Prozent oder 988 Jahre daneben lag. Und es war der Mann mit dem Start-Button unten links, der 1981 mutmasste, «640 Kilobyte Speicher pro Person sollten reichen».
Longchamp verweist zu Recht darauf, dass die aktuelle Kritik an seiner Erhebung davon ablenke, dass das Stimmverhalten junger Mitbürger sehr wohl Anlass zur Sorge böte: Vielen Teens und Twens sei nicht klar, dass der «Gefällt mir»-Button unter einem lustigen Ueli-Maurer-spielt-mit-Spiel-zeug-Gripen-Cartoon formaljuristisch nicht als schriftliche Abstimmung gilt. Dazu der streitbare Politologe: «Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg.» Stimmzettel müssten künftig wohl tatsächlich statt «Ja/Nein» mit «I like/This sucks» ausgefüllt werden können. Und Politiker würde man besser im Stil von «The Voice of Switzerland» wählen, also «casten». Longchamp: «Demokratie als Event. Das würde die Wahlbeteiligung erhöhen. Und wie bei «The Voice» garantieren, dass weiterhin nur das Mittelmass gewinnt.» Damit die Schweiz so bleiben kann, wie sie ist.