
Nun stehen sie wieder, landauf, landab, an ihren Altären, die Hohepriester des Sommers, die Bewahrer der Tradition, die Herrscher der Gluten, die Vorbeter aller fleischlichen Gelüste.
Was dem Tell seine Armbrust, das ist dem Eidgenoss' die Grillzange. Oh nein, hier geht es nicht einfach darum, Fleisch über ausreichend Hitze auf den Punkt zu garen, es handelt sich hier um eine Zeremonie, um einen - sagen wir es geradeheraus - religiösen Akt, der anknüpft an die Zeiten, als Urvater Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte bis hin zum orgiastischen Tanz der Israeliten ums Goldene Kalb.
Sie mögen zu Tausenden abfallen vom rechten Glauben, sie mögen austreten aus der Kirche, sie mögen die so gesparten Kirchensteuern reinvestieren in Schweinekoteletts, Brustspitze, Rindshuft, Lammracks und ganze Gebetskränze von Wurstwaren - sie tun dennoch über glühender Kohle, dampfenden Lavasteinen und perfekt regulierbarer Gasflamme nichts anderes, als dem heiligen Laurentius zu huldigen. Er war es, der für seinen Glauben auf dem Grillrost endete. Dabei hätte er dem geldgierigen Kaiser Valerian nur die gesammelten Kirchensteuern (damals noch: Almosen) auszuhändigen brauchen. Aber lieber wollte er sterben, als die noch junge Kirche (258 n. Chr.) und ihre Schäfchen mittellos zu sehen. Wenn die in der Legende überlieferten letzten Worte Laurentius' an den Kaiser auch wirklich diese waren, dann hat er, kurz vor saignant, noch sehr viel Sprachwitz aus seiner Überzeugung blitzen lassen: «Du armer Mensch, mir ist dieses Feuer eine Kühle, dir aber bringt es ewige Pein.» Eine andere Überlieferung sagt, dass Laurentius, nach einiger Zeit über dem Feuer, dem Henker zugerufen habe: «Der Braten ist jetzt fertig, dreh' ihn um!»
Ja, der Mensch braucht Religion. Das hat Alain de Botton in seinem Buch «Religion für Atheisten» äusserst amüsant und aus dem prallen Leben gegriffen überzeugend dargelegt. Als Brite mit Schweizer Wurzeln hätte er eigentlich auch die Rituale rund um den Grill in seine Sammlung aufnehmen müssen, denn was ist ein Grillfest anderes als die Erfüllung der innersten menschlichen Sehnsüchte? Das Fleisch (und natürlich auch alles andere, wie heisst das doch gleich - richtig: Beilagen!) wird im geschützten Küchenraum vorbereitet und dann würdevoll an den Ort der Vollendung gebracht. Das nennt sich Gabenbereitung und Prozession. Der Zelebrant, nach alter Väter Sitte und gemäss patriarchalem Gewohnheitsrecht ein Mann, verwandelt totes Fleisch in ein kross gebratenes, verführerisch duftendes und für alle Anwesenden gerecht aufgeteiltes lukullisches Kunstwerk, das jedes Mal, wenn er es wieder versucht, als neue Kreation auf dem Teller landet, weil Glut, Windeinfluss, Würze und Qualitätsunterschiede zwischen den diversen Naturproduktlieferanten kein verlässlich gleichbleibendes Endergebnis zulassen. Schickt der unter Hitze und Anspannung schwitzende Zeremonienmeister ein Stossgebet in die Rauchfahne über ihm, dann richtet sich dieses ganz klar, selbst wenn unbeabsichtigt, an den Schutzpatron der Köche, den heiligen Laurentius.
Nach dieser Wandlung wird die versammelte Gemeinde gespeist. Dazu trinkt sie alkoholische Getränke, welche das ohnehin schon vorhandene Zusammengehörigkeitsgefühl noch kultisch verstärken. A propos stark: Laurentius ist auch der Schutzpatron der Bierbrauer. Aber zurück zur Kommunion der Communio, was dies- wie jenseits von Kirchenmauern Gesellschaft bedeutet. Zusammen essen und trinken, das verbindet. Ausserdem führt es regelmässig dazu, dass man sich gerne und womöglich noch unter Absingen allgemein bekannter Melodien daran erinnert, wie man sich zum ersten Mal zu so einem Grillfest getroffen hat, was man in der Zwischenzeit so alles erlebt hat und dass man solche Treffen unbedingt regelmässiger veranstalten sollte.
So wird der helvetische Grilleur, unter dem Schweizer Kreuz, zum leuchtenden Vorbild des gelebten Glaubens, ohne es zu wissen, oft ohne es zu wollen, aber ganz im Sinne des heiligen Laurentius, der nach seinem Ableben auf Roms öffentlichem Grillplatz zum Schutzpatron aller Berufsgruppen wurde, welche mit dem offenen Feuer zu tun haben. Deshalb fährt auch sofort die Feuerwehr ein, wenn der Funkenflug auf Gebäude übergreift oder wenn die Gasflasche explodiert. Auch für die Frauen ist Laurentius da, dann nämlich, wenn sie als Wäscherinnen sich abmühen, Bratenfett, Weinflecken, Barbecue- und Salatsaucen aus den kurzen Hosen und T-Shirts zu kriegen. Ach ja, und Laurentius kann man denn auch anrufen, wenn man sich beim Holzkohleschleppen den Hexenschuss eingefangen hat.
Und da man zu guter Letzt beim Schuss angekommen ist, beantworte sich der immer noch Zweifelnde die Frage, ob das Grillieren nun wahrhaft christlich sei oder nicht, mit den extremsten Beweisen fanatischen Glaubens: Der islamische Fundamentalist zum Beispiel jagt gerne mal sich und eine vorher unbekannte Anzahl Ungläubiger mittels Sprengstoff in den Himmel. Der überzeugte Christ hingegen legt sich selber auf den Grill und animiert dadurch allenfalls Umstehende, es ihm gleichzutun.