
Bei uns im Land der zementierten Zauberformel traut man seinen Augen kaum, dass in Deutschland plötzlich eine brandneue Partei aus dem Boden schiessen und auf Anhieb an zwei Landtagswahlen zweistellige Werte erobern kann. Als Schweizer Fussballfan hat man erst einmal Mühe, die «Alternative für Deutschland», kurz AfD, nicht mit der St. Galler Fussballarena AFG zu verwechseln.
Hinter dem Erfolg: Ein frustriertes Ex-CDU-Mitglied mit der Idee, etwas ganz Neues zu wagen - kein Parteiprogramm im klassischen Sinn, sondern eine Marketingstrategie, die sich ausschliesslich an den aus Umfragen bekannt gewordenen Wehwehchen des kleinen Mannes, also des potenziellen Wählers orientiert: Kriminalitätsbekämpfung, Abschaffung des Euros, weniger EU, «Banken brauchen Schranken»; für einen starken (deutschen) Staat und gegen die ungezügelte Einwanderung.
Ihr Gründer Bernd Lucke hätte wohl auch in der Schweiz Erfolg, vielleicht überlegt er sich noch einen Zweig «AfS». Eine Alternative ist er sicher, denn keine andere Partei hat so viele Spielarten an aktuellen und alltäglichen Themen wie er. Kanzlerin Merkel und die Politprominenz strafen ihn erst einmal mit Nichtbeachtung - ein Zeichen der Gefahr, die sie in ihm sehen. Und er ist viel professioneller mit Finanzen und taktischem Können als die mit allen Segeln untergegangenen Piraten. Er spricht die Frustwähler an und spezialisiert sich auf sie. Bernd Lucke ist Politiker und Marketingexperte gleichzeitig. Er verspricht das Blaue vom Himmel und er analysiert die Probleme der Gesellschaft, er braucht kein Parteiprogramm, weil er von Wahl zu Wahl sondiert, wo der Schuh drückt; dann organisiert er wie ein Firmenboss seine politischen Produkte: Wenn eines nicht funktioniert, lässt er es ohne Gewissensbisse fallen, nimmt es aus dem Regal und versucht es mit einem neuen, das in der Wählermasse ausgesiebt wurde. Fatalismus total. Da bleibt einem schon mal die Spucke weg.
Er ist der einzige Politiker, der es schafft, seine Partei in allen Farben und von links nach rechts aufzustellen. Laut einem «Spiegel»-Interview ist er klar für alle Belange der Europäischen Union, nennt sich aber europafeindlich und will die D-Mark zurück, er will mehr Moscheen erlauben, schreibt aber mit grossen Buchstaben «Stopp der muslimischen Zuwanderung!» auf seine Parteifahne, er akzeptiert zentrale Entscheide aus Brüssel und Strassburg, will aber mehr Einfluss der Nationalstaaten. Mit solchem populistischem Lug und Trug lässt Bernd Lucke alle Wählergruppen von Protest träumen und kommt so im Lande der Dichter und Denker auf über zehn Prozent der Wählerstimmen, die tatsächlich aus allen Parteien zusammengeklaut sind.
Lucke steht für Prinzipienlosigkeit eines wirtschaftsliberalen Wahlvereins, der so tut, als würde er etwas gegen alles, was angeprangert wird, tun. Noch schlimmer: Menschen suchen in dieser von Krisen und Kriegen geschüttelten Zeit nach Sicherheit. Er gaukelt sie ihnen vor und gleitet dabei gerne nach ganz rechts ab, während er gleichzeitig die Hand aufhält und von namhaften Raubtierkapitalisten Millionen von Spenden dankend annimmt.
Das Phänomen AfD wird noch lange dauern, erst nächstes Jahr sind weitere Wahlen. Er wird seiner Masche treu bleiben und eiskalt weiter zwischen den politischen Lagern taktieren, weiter seine Welt ausschliesslich aus Marktumfragen zusammenbauen, und das kann dauern, bis die Masse der Wähler seine Machenschaften durchschaut, wenn sie ihn überhaupt durchschauen will, denn ach wie schön ist es doch, endlich eine politische Kraft zu haben, die gegen alles, was ich als Bürger negativ empfinde, vorgehen will. Und in eine Regierung wird er es wohl kaum schaffen wollen, denn spätestens dort braucht er ein ordentliches langfristiges Parteiprogramm, an dem man seine Taten messen kann, ein echter Hasardeur wird einen solchen Zustand vermeiden können.
Und so wird uns noch Jahre ein Bernd Lucke mit seinen Alternativen erhalten bleiben - auch wenn manchem dabei wohl noch ein paar Mal die Spucke wegbleibt.