Die Welt braucht Satiriker

Andreas Thiel | veröffentlicht am 29.01.2015

Es spielt keine Rolle, wie scharf der Satiriker schiesst und wie gut er trifft. Mit seinen Pointen zielt er sowieso bloss auf das Zwerchfell. Wen er trifft, muss halt lachen. Deshalb kann sich auch nicht als Opfer bezeichnen, wer über eine Karikatur oder eine Pointe nicht lachen kann, denn er wurde offensichtlich gar nicht getroffen.

Die Welt braucht Satiriker
Freimut Woessner | (Nebelspalter)

Darin liegt vielleicht der grösste Unterschied zwischen dem Satiriker und dem Terroristen. Wenn der Terrorist sein Ziel verfehlt, kann das Opfer lachen. Wenn der Satiriker danebenschiesst, dann gibt es nichts zu lachen. Insofern ist der Beruf des Satirikers um einiges anspruchsvoller als der Beruf des Terroristen.

Dennoch liegt Doris Leuthard natürlich auch richtig, wenn sie sagt, Satire sei kein Freipass. Denn Satire hat eindeutig Grenzen. Es gibt klare, moralische Grenzen, an welche sich der Satiriker zu halten hat. So darf ein Satiriker zum Beispiel nicht töten. Kein Satiriker der Welt würde je eine Pointe veröffentlichen, über die sich Menschen totlachen müssten. Das wäre ein absolutes «No go». Ein Satiriker sollte zudem weder lügen noch stehlen. Ein Satiriker sollte auch Vater und Mutter ehren. Und er sollte natürlich nicht die Frau eines Zuschauers begehren. Solche moralischen Grenzen bestehen für die Satire allerdings schon seit Jahrtausenden.

Diesbezüglich hat Doris Leuthard Glück, dass sie keine Satirikerin ist, sondern Politikerin. Die Politik ist nicht so strengen moralischen Grundsätzen unterworfen wie die Satire. Der gesamte Bundesrat kann sich glücklich schätzen, in der Politik zu Hause zu sein und nicht in der Satire. Als Satirikerinnen hätten sich unsere Bundesrätinnen niemals so lange auf der Bühne halten können. Deshalb gibt es auch so viele Politiker und nur so wenige Satiriker.

Aber die Welt braucht Satiriker. Angesichts des ganzen Terrors, Hungers, Elends, der Kriege, der Krankheiten, des Giers, des Hasses, der Missgunst und Intoleranz, der politischen Intrigen und der Bodenlosigkeit, die wir täglich erfahren, braucht es Satiriker, die uns darüber manchmal wenigstens ein bisschen lachen lassen, damit wir angesichts dieser Welt nicht allzu viel weinen müssen. Satiriker geben nicht vor, die Welt zu verändern oder gar zu verbessern, dafür sind sie zu realistisch und zu bescheiden. Aber sie helfen uns, mental mehr oder weniger im Gleichgewicht zu bleiben, auch wenn diese Welt ständig aus dem Ruder zu laufen droht.

Der nicht mehr lachen kann, verfällt der Frustration. Und diese ist eine der Sümpfe, aus welchen unkontrollierte Gewalt entsteht. Die Frage ist nicht, wie viele Gewalttaten eine Karikatur provozieren könnte, weil einige frustrierte Menschen es nicht mehr schaffen, darüber zu lachen, sondern wie viele Gewalttaten eine Karikatur verhindert, weil sie andere frustrierte Menschen zum Lachen bringt.

Lachen ist eine Deeskalationsfunktion unseres Gefühlsbaukastens. Satire dient immer der Entspannung. Wenn sie jemanden nicht zum Lachen bringt, dann hat sie deswegen keine Spannung aufgebaut, sondern sie hat es im Gegenteil nicht geschafft, vorhandene Spannungen abzubauen. Wäre diese Welt eine bessere, müssten Satiriker nicht dauernd versuchen, die Menschen über die traurigsten Dinge zum Lachen zu bringen. Wäre sie eine fröhlichere, lustigere, dann würden die Komiker vielleicht zu Tragikern werden, um die Menschen mit den Mitteln der Melancholie manchmal etwas von ihrem Gelächter runterzuholen und sie zum Nachdenken zu bringen. Statt Humorfestivals gä-be es dann vielleicht Trauerfestivals, wo sich die Zuschauer nachher in der Festwirtschaft lachend erzählen könnten, wie gut sie geweint haben über die tragischen Erzählungen der Tragiker.

Natürlich würden einzelne, moralisierende Spassvögel den Tragikern vorwerfen, sie täten nur schwarzsehen und schwarzmalen und es würde eine öffentliche Debatte geben über die Grenzen der Tragik. Es würden Themen definiert, zu welchen man nichts Trauriges mehr sagen dürfte, weil sie zu lustig seien, um von einem Tragiker hinterfragt zu werden. Vielleicht würde man die Tragiker einsperren oder sogar töten, weil man ihnen denn vorwerfen könnte, sie hätten einem den Spass an einer Sache verdorben.

Aber so weit sind wir noch lange nicht. Die Tragik dieser Welt ist immer noch so grenzenlos, dass wir in unserer Hilflosigkeit bloss versuchen können, wenigstens die Komik in Schranken zu weisen.

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