Merkels Blazer & balinesischer Gottesbeweis

Oliver Hepp | veröffentlicht am 09.07.2015

Farben! Bevor wir uns zu diesem bunten Thema etwas ausdenken, erst einmal dies aus der Neurologie: Es gibt da diesen Bereich im Gehirn, der uns Farben vorgaukelt.

Merkels Blazer & balinesischer Gottesbeweis
(Nebelspalter)

Denn Farben gibt es nicht wirklich da draussen. Es sind nur verschiedene Wellenlängen. Die Farben werden im Gehirn produziert. Unsere Augen sind eigentlich Farbenblind. (...) So viel von der Neurologie, die, wie der Name andeutet, eine noch junge Wissenschaft ist. Denn früher war alles anders.

Geschichte der Farbe
Im Anfang herrschten paradiesische Zustände. Adam und Eva waren unschuldig, nackt oder schlicht: fleischfarben. Die Schöpfung gefiel sich in einem sanften Ocker-beige-zartrosa-«Ton in Ton»-Konzept. Alles lief gut oder kreuchte und fleuchte gut, wie man damals zu sagen pflegte. Doch Eva hatte es zu bunt getrieben und ihrem Mann die Möglichkeiten der Zukunft in den schillerndsten Farben geschildert. So biss Adam in den Apfel und blickte der nackten Wahrheit ins Angesicht. Auch Eva wurden die Augen geöffnet, woraufhin sie sich fortan in allerlei bunte Fummel schmiss. Mode folgte auf Mödeli, der Catwalk durchschritt die Palette des Farbenkreises.

Die Geschichte ging so lange gut, bis Sir Isaac Newton auftauchte und anhand des Apfels Adam die Schwerkraft erklärte, worauf diesem der Bissen nachträglich im Halse stecken blieb. Newton erklärte Eva, dass das weisse Licht, schickt man es durch ein Prisma, aus einzelnen Bestandteilen, den sogenannten Spektralfarben besteht. Und als Sir Issac sein bedeutendes Zitat «The rays are not coloured» hinzufügte, war für Eva das Ende des Regenbogens erreicht. Die Farben des Regenbogens sind mit keiner Farbe angestrichen? Was zu viel ist, ist zu viel.

Johann Wolfgang von Goethe hieb mit dem Faust auf den Tisch und dichtete Eva, die jetzt Gretchen hiess, folgende Worte in den Mund: «Sir Isaac, mir graust vor Dir!» Goethe malte den Farbenkreis und beschrieb die heiter bunte Welt als ein Zusammenspiel von Helligkeit und Dunkel. Noch heute tanzen die Anthroposophen den Ringelreihen aus Gut und Böse, wobei das Böse dunkel, das Gute aber in der abgetönten Farbpalette eines ganzheitlich geführten Kinderhortes zutage tritt. Goethes Farbenlehre war der Versuch, das Wesen der Farbe in seiner Gesamtheit zu erfassen. Er selbst schätzte die Ergebnisse seiner Forschungen höher ein als sein gesamtes literarisches Schaffen, was bei dem nicht uneitlen Dichterfürsten und nimmermüden Wandersmann etwas heissen will!

Nun, wer hat recht? Newton oder Goethe? An wen oder was sollen wir uns halten? An das Gute oder das Böse? An den farblosen Wassertropfen oder an das Wunderwerk des Regenbogens, den der Sonnenstrahl aus ihm hervorzaubert? An den heiter hellen bunten Tag oder an die graue finstere Nacht, in der selbst unsere Träume aus Farbe sind?

Die deutsche Bundeskanzlerin tanzt im weltpolitischen Parkett den Farbenkreis. Ist selbst dieser einzig verbliebene Garant für Stabilität, dieser Pflock in der Brandung, ist selbst Angelas Blazer nur eine Vorgaukelung falscher Tatsachen? Was also ist Farbe, wenn es sie denn nicht gibt?

Und jetzt der Gottesbeweis
Diesen Frühling war ich auf Bali. Auf Bali ist jeden Tag irgendwo ein buntes Tempelfest. Im Dschungel blühen die bunten Blumen und fliegen vielfarbig gefiederte Exoten von Baum zu Baum. Das Bunteste aber sind die zahlreichen Korallengärten um Bali herum. Schnorcheln ist ein Muss. So schnorchelte ich mit meinem Weib, den Blick durch die Taucherbrille streng nach unten gerichtet, und bestaunte die Explosion an Farben und die Vielfalt der Gestalt. Nichts ist bunter als ein Korallenriff, nirgendwo verschwendet sich die Artenvielfalt in all ihren möglichen und unmöglichen Varianten mannigfaltiger.

Nach zwei Stunden wars genug. Die Augen schmerzten vor lauter Sinnesüberflutung. Mit knallrotem Rücken und scharf angrenzender  knallweisser Bikinizone nahmen wir am Strand einen kleinen Imbiss zu uns. Ich bemerkte eine leichte Bewegung im Sand und hob es auf. Das winzige Etwas erwies sich als Einsiedlerkrebs, der es sich in einer Turmmuschel, nicht grösser als eine kleine Erbse, häuslich eingerichtet hatte. Ich drehte die sandfarbene Muschel, und aus dem Inneren blickten uns zwei tiefschwarze Augenpunkte, nicht grösser als die Spitze einer Stecknadel, an. Der Krebs wendete sich und lief eifrig und eilig seitwärts über den Handrücken.

Ich ergriff ihn und wendete ihn abermals, um das kleinste aller unscheinbaren farblosen Wesen genauer zu betrachten. Tief aus der Muschel heraus starrten mir die winzigsten Augen entgegen, die ich je gesehen hatte. Voller Rührung sagte ich: «Auch du bist ein Geschöpf Gottes!» Woraufhin meine Freundin, die ausgerechnet Eva heisst, ungerührt ihr Sandwich verspeisend, bemerkte: «Nein, das ist Gott!»

Nun kenne ich ihn, der all dies geschaffen, in all seiner Pracht, sei es nun in Farbe oder in Schwarz und Beige und Weiss.

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