Fleischfresser und Milchsäufer

Thomas Meyer | veröffentlicht am 09.09.2015

Wer sind sie eigentlich, die Menschen, die Kälber, Schweine und Hühner essen sowie Eier, Käse und Butter? Eine kleine Typologie. Natürlich aus den Fingern eines Veganers.

Fleischfresser und Milchsäufer
(Nebelspalter)

1. Der Hedonist
Der Hedonist liebt den Genuss. Würde man ihn fragen, ob er ein sinnlicher Mensch sei, würde er bedächtig und
lächelnd nicken, und zwar in Richtung seines Weinkellers (je nach Einkommen: seines Weingutes). Man merkt es aber schon seiner Sprache an: Er isst nicht, er diniert, er fährt nicht, er lenkt, und er macht nicht Ferien, sondern eine Reise. Den Reizen der Frauen kann er unmöglich widerstehen, ebenso wenig den Herrlichkeiten, die - über den Umweg kundiger Chefs (nicht etwa Köche) - aus den Schlachthäusern auf seinen Teller gelangen. In der Folge betrügt er seine Frau nicht etwa, sondern seine ganze Liebe gilt nur ihr, und er ist auch nicht für den Tod von Tieren verantwortlich, sondern dafür, dass sie ihre wahre Bestimmung finden. Aber so ist das eben, wenn man für das Schöne lebt: Es geht nicht ganz ohne Beschönigung.

2. Der Anachronist
Der Anachronist bedauert es ausserordentlich, in einer Welt ohne echte Herausforderung leben zu müssen. Regelmässig trauert er den Zeiten nach, in denen die Zustellung eines Briefes noch einen Ritt durch Wind und Wetter erforderte, in denen es noch wilde Weltgegenden gab und echte Kerle, die dorthin aufbrachen, um mit fremdartigen Gewürzen und anderen Trophäen zurückzukehren. Er wäre auch gern einer von ihnen. Ja, er ist einer von ihnen, er lebt einfach in der falschen Epoche, nämlich dem Zeitalter der Feigen und Verweichlichten. Es gibt nur zwei Dinge, die ihn in die Zeit versetzen, in die er eigentlich gehört: Feuer und Fleisch. Er ist deshalb sehr glücklich, wenn er beides verbinden kann und brutzelt dann ein Rindsfilet auf seinem Grillrost. Er stellt sich vor, dass es ein Stück einer Antilope ist, die er mit eigenen Händen erlegt und aus­genommen hat. So wie seine?... nein, nicht seine Vorväter, sondern wie seine Stammesbrüder.

3. Die Protektionistin
Sie ist nicht nur eine gute Mutter - sie ist die beste der Welt. Darum nimmt sie sich sofort einen Anwalt und geht gegen die Schule vor, deren Lehrer ihrem geliebten Spross eine unberechtigt schlechte Note gegeben hat und pumpt ihr Kind mit allen Impfungen voll, die es gibt, egal, für welche Weltgegend sie gedacht sind. Es muss viel Milch trinken und viel Fleisch essen, damit es wächst und gesund bleibt. Menschen, die den Verzehr tierlicher Produkte als unmoralisch bezeichnen, möchte sie ins Gesicht schlagen, fordern diese Idioten doch nichts anderes, als dass ihrem Kind die Existenzgrundlage entzogen wird - und damit seinen Tod! Zum Glück sterben sie aber selbst bald, denn man weiss ja, dass der Verzicht auf Fleisch krank macht.

4. Der Traditionalist
«Der Mensch hat schon immer Fleisch gegessen.»

5. Der Utopist
«Was, eine Kuh gibt echt nicht pausenlos Milch?»

6. Der Trotzkopf
Eigentlich weiss er ganz genau, dass die Massentierhaltung problematisch ist. Er kann sich auch ganz gut vorstellen, weniger Fleisch zu essen, vielleicht sogar gar keines mehr. Aber ihm gehen diese trendigen Veganer dermassen auf den Sack mit ihren Fixies, ihren Bärten, ihrem selbstzufriedenen, verzärtelten Nachhaltigkeitsgesäusel und ihren permanenten Facebook-Food-Foto-Posts mit «Hmmm, Tofu-Bratlinge an Sojarahm-Kurkuma-Sauce!», dass er nicht mehr anders kann, als darunter zu kommentieren: «DARAUF HOLE ICH MIR GLEICH EINEN BIG MAC!» Und das macht er dann auch.

Thomas Meyer ist Schriftsteller und Mitglied der Veganen Gesellschaft Schweiz. www.vegan.ch

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