
Eigentlich sollte die Überschrift dieses Editorials «Einführung in die Problematik intentionaler Faktenabsenz in zeitgenössischen Medienprodukten» lauten. Unter dem Druck unseres Verlegers und einflussreicher Inserenten sah sich die Redaktion jedoch gezwungen, den Titel «Katzenbilder, nichts als Katzenbilder!» zu wählen.
Damit befinden wir uns auch schon mitten im Thema. Die Medienwelt steckt in der grössten Krise ihrer Geschichte. Zeitungen und Zeitschriften verlieren seit Jahren an Leserschaft, auch klassisches Radio und Fernsehen büssen Reichweite ein, der Medienkonsum der Generation «iPhone» verlagert sich zunehmend in die sozialen Medien und auf Plattformen wie Youtube und Netflix.
Journalisten, die sich noch bis vor wenigen Jahren selbstbewusst als legitime «vierte Macht» neben Montesquieus drei Staatsgewalten gesehen haben, kehren heute verunsichert die Scherben ihres althergebrachten Weltbildes zusammen. Einst sahen sie sich als edle Kapitäne auf dem unermesslichen Strom der Informationen, stets im Dienste ihrer Medienkonsumenten. Doch das Internet hat diesen Strom demokratisiert. Leser gelangen auch ohne Journalisten an Informationen und umgekehrt. Genauso verheerend: Im Internet lässt sich exakt messen, welcher Artikel wie oft geklickt, welches Video wie lange angeschaut wird. Und deshalb, liebe Leserinnen und Leser, sind Katzenbilder der Endpunkt der abendländischen Pressegeschichte. Denn Katzenbilder funktionieren immer.
In einer durchsichtig und messbar gewordenen Medienwelt zählt nur noch der Klick. Nur wo viel geklickt wird, fühlen sich auch Werbekunden wohl. Das «härzige Büsi» ist freilich nur einer dieser Klick-Tricks. Grundsätzlich funktionert alles, was unmittelbar berührt, empört, Neugierde weckt oder Schadenfreude bedient. Dazu müssen Journalisten nicht unbedingt direkt lügen, aber die Story muss schon kurz und griffig sein - was nicht passt, wird passend gemacht.
Machen wir die Probe aufs Exempel: Der meistgelesene Beitrag auf der Website des Tages-Anzeigers am heutigen Tag des Redaktionsschlusses: Ein Artikel, der die Nachhaltigkeit der Elektromobilität als Mythos darzustellen versucht. Schon eine kurze Recherche macht klar: Viele Experten, die im Artikel zitiert werden, wurden von den Journalisten gar nicht selbst befragt. Ihre Aussagen wurden - teils aus dem Kontext gerissen - aus anderen Interviews und Internet-Berichten kopiert. Hier wird der Name des Experten falsch abgeschrieben, dort aus einem lupenreinen Lobbyisten ein neutraler Professor gemacht - und natürlich fehlen all die (ebenso leicht zu googelnden) Studien, die nicht zur vorgefassten These gepasst haben.
Aber wir wollen nicht unfair sein: In der Medienrealiät 2015 hat ein Artikel wie dieser beinahe schon als seriöse Eigenleistung zu gelten. Denn der meistkommentierte Artikel auf 20 Minuten am selben Tag ist - genau: Ein Bericht, der die erwähnte Tagi-Meldung einfach nochmals abschreibt. Das gleiche Bild auf Watson.ch. Ganz ehrlich: Wäre es da nicht besser, nur noch Katzenfotos zu bringen?