
Die Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung GfS in Zürich befragt jedes Jahr 1000 Schweizer zu ihren Lieblingsängsten...
Einer der wichtigsten Angstauslöser ist - grosse Überraschung - die Kriminalität. Die Kriminologin Simone Walser hat herausgefunden, wie sich die Kriminalitätsangst in verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterscheidet und welche Rolle dabei die politische oder die religiöse Ausrichtung, der Bildungsstand oder die Wohn- und Sprachregion spielen.
Das Ergebnis ist erfreulich: Je rechter jemand politisch steht, desto bedrohter fühlt er oder sie sich. Die Angst vor Überfremdung, Sittenzerfall, Job- oder Wohnungsverlust, in Geldnot zu geraten etc. - diese Phobien sind bei politisch rechts stehenden Menschen deutlich ausgeprägter als bei Linken. Angehörige von Religionsgemeinschaften weisen deutlich höhere Angstwerte auf als Konfessionslose. Generell fürchten sich Frauen mehr als Männer, Alte mehr als Junge.
Laut Statistik werden exakt diese Personen aber deutlich seltener Opfer von Straftaten. Eine strenggläubige, hochbetagte SVP-Wählerin aus Oberengstringen muss man sich demzufolge als reines Nervenbündel vorstellen. Leider hat die Umfrage nicht klären können, ob die SVP generell bei Angsthasen punktet oder ob sie vorwiegend Wähler mobilisiert, deren Ängste sie überhaupt erst verursacht hat, und das alles in einem Land, in dem es offiziell das schöne Delikt «Schreckung der Bevölkerung» gibt. Was ist mit den Linken? Laut Umfrage, und das vor Fukushima, fürchten die sich am meisten vor Atomkatastrophen. Tja, da hätte man sich etwas mehr Fantasie gewünscht.
Allgemein gehen Schweizer sehr rigoros mit ihren Ängsten um. An den Grenzen haben sie Türsteher aus dem Kosovo installiert und gegen Universalängste das Universalmesser erfunden. In Basel mischen sie ständig angstabweisende Medikamente, gerade frisch auf dem Markt, die Salbe gegen die brandgefährliche «Eurodermitis».
Wenn ich in der Schweiz wohnen würde und mir eine passende Angst zulegen müsste, würde ich mich für die Akrophobie, die Höhenangst, entscheiden. Die lohnt sich in einem alpinen Land am meisten. Nirgendwo in Europa kann man besser in Abgründe schauen. Nirgends kommt man beim Abstieg schneller voran.
Die Höhenangst verursacht Schwindel, Herzrasen und Schweizausbrüche. Und natürlich lässt sich auch nirgendwo die Höhenangst besser therapieren als in den Schweizer Bergen, durch Meditation oder gar ayurvedische Anwendungen, am besten unter Anleitung einer aparten Alpenpflegerin. Für solchen Zinnober sind die Schweizer besonders anfällig. «Relaxen Sie eine Woche lang im Grand Hotel Höhenkoller und lernen Sie, mit Ihren Ängsten umzugehen.» Der Bergler hat dafür bereits den treffenden Ausdruck gefunden: «Senn-Buddhismus».
Schweizer und Schwobe plagen übrigens ähnliche Ängste, auch wenn den Eidgenossen das jetzt überhaupt nicht recht ist. Überraschenderweise plagen mich in der Schweiz ganz andere Ängste als im grossen Kanton. Wer tatsächlich sterben will, geht am besten in die Schweiz. Nicht wegen Exit oder Dignitas. Todsicher ist hier der Zebrastreifen.
Für Schweizer Autofahrer scheint der nur eine Empfehlung zu sein, ggf. evt. vielleicht mal anzuhalten, möglicherweise. Also im Sinne von vielleicht. Für manche eher ein Anreiz, die Hoffnung auf eine neue Kühlerfigur. Es empfiehlt sich also, anderen den Vortritt zu lassen und sich dem Zebrastreifen in jenem Zustand zu nähern, den Max Frisch einmal «gelassene Panik» genannt hat, wenn es nicht sogar Dürrenmatt war, falls es sich bei den beiden tatsächlich um zwei verschiedene Personen gehandelt hat.
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Thomas C. Breuer tritt mit seinem aktuellen Programm «Kabarett Sauvignon» am 15. und 16. Januar 2016 in Goldach SG sowie am 29. Januar 2016 in Affoltern am Albis auf. Weitere Infos: www.tc-world.com