Letztes Abendmahl im Santa Lucia

Roland Schäfli | veröffentlicht am 25.03.2016

Denn an jenem Abend, bevor der Thurgauer Mafia-Boss verhaftet wurde, nahm er das mit Olivenöl beträufelte Bruschetta-Brot, brach es, reichte es seinen Gefolgsleuten und sprach: «Wer singt, fliegt raus.»

Letztes Abendmahl im Santa Lucia
(Nebelspalter)

15 mutmassliche 'Ndrangheta-Mitglieder wurden in Auslieferungshaft genommen - allein 13 davon aus der Frauenfelder Zelle, darunter ein Mafioso namens Toni, dem Schwätzer. Diese 13 feierten am Abend vor der Verhaftung ein letztes Ma(h)l, im Ristorante Santa Lucia, das fast so gut ist wie Hotel Mamma.

Noch in derselben Nacht sollten die Häscher der Staatsanwaltschaft vor den Türen ihrer unscheinbaren Mietwohnungen erscheinen, um sie der Mitgliedschaft in der Sekte anzuklagen, Mafia genannt. Unter Verdacht geraten war auch der in Frauenfeld wohnhafte Pepe Lienhard, weil er Kontakte zu Frank Sinatra pflegte, der wiederum Kontakte zur Mafia unterhielt. Als bekannt wurde, dass Mitglieder einer mafiösen Vereinigung verhaftet werden sollten, erschrak man im Hotel Baur au Lac sehr, einem guten Geschäft.

Der Pate, ihr Frauenfelder Götti, hatte seine Amici in der Pizzeria, wo man fast so gut isst wie im Hotel Mamma, zu einer letzten Conferenza zusammengerufen. Er brach jemandem noch das Bein, dann reichte er Bruschetta mit Knoblauch und sprach: «Nehmet und esset alle davon. Ich zahle die Zeche.» Ebenso nahm er nach dem Mahl den Wein, einen guten Brunello aus der Toskana, dankte wiederum der netten Kellnerin Francesca mit einem anerkennenden Klaps auf ihren Hintern und sprach: «Nehmet und trinket alle daraus, das ist der Kelch des neuen Bundes.» Da wussten seine Amici, dass der Götti ein neues Bündnis des Glaubens begründete, eine neue Zelle in Frauenfeld, das die italienischen Migranten selbst liebevoll Little Italy nannten.

Er fügte hinzu: «Tut dies, aber nicht zu meinem Gedächtnis, im Gegenteil, wenn einer euch fragt, habt ihr absolut keine Erinnerung an mich. Ich war nie hier. Capice?» Da waren seine Jünger betrübt. «Ich werde nur noch kurze Zeit bei euch sein», was stimmte, denn das Santa Lucia schloss ja schon um 23 Uhr, «dann werde ich zum Vater heimkehren.» Sie nahmen an, er meine seinen alten Pappa in Palermo. «Wohin ich gehen werde, dahin könnt ihr mir nicht folgen.» Doch nicht nach Napoli! Ihr Meister sprach in Rätseln: «Ich bin der wahre Weinstock.» Da nahmen sie an, er spreche von der Kontrolle der Thurgauer Apfelmost-Produzenten, ein gutes Geschäft. «Ihr sollt die Moneta lieben, so wie ich sie geliebt habe. Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen.» Wieder verstanden sie nicht. Denn sie lebten in unscheinbaren Thurgauer Einfamilienhüsli.

«Einer, der mit mir das Ciabatta Brot isst, wird mich verraten. Daran werdet ihr eine Weile zu kauen haben.» Da sahen sich die Jünger bestürzt an. Pietro der Steinige fragte, wer von ihnen es sei. «Er ist es, dem ich das Ciabatta geben werde, das ich jetzt in die Schüssel Olivenöl tauche». Er gab es Toni dem Schwätzer. Da erschraken Georgio der Möhl-Trinker, Frankie der fleissige Biber und Guisi, der schnellste Frauenfelder. Und einhellig verlangten sie, Toni der Schwätzer solle mit Zementschuhen im Alpiq-Stausee schwimmen.

Mehrere unter ihnen waren im Thurgau als Versicherungsberater tätig, ein gutes Geschäft, denn Prämien sind wie ein Schutzgeld «gegen böse Dinge, die einem widerfahren könnten», so jedenfalls lautete das Angebot, das Frauenfelder Versicherungsteilnehmer nicht ablehnen konnten. Und nun sollte ihr Götti schutzlos sein? Pietro sagte ihm: «Meister, ich würde für dich sogar kalte Fettuchine im Bella Cucina essen, das längst nicht so gut ist wie das Hotel Mamma.» Doch der Meister sagte zu Pietro: «Ich kann mich nicht erinnern, wann du mich das letzte Mal in dein Haus eingeladen hast zu einer Tasse Ristretto. Aber jetzt kommst du zu mir und sagst, du willst einen Gefallen. Wahrlich, wenn morgen früh das Pollo kräht, wirst du mich dreimal verleugnet haben.»

Da tischte Francesca die Pesci auf, und es war unverhohlen eine sizilianische Warnung: Schwätzer sollen bei den Egli im Bodensee schwimmen. Alessandro der Stecher wollte später noch mit Fran-cesca auf die Matratzen. Um 23 Uhr brauchte der Götti die Zeche nicht zu bezahlen, denn er hatte die Pizzeria um diese kleine Gefälligkeit höflich gebeten. Er liess sich die Canelli einpacken und ging hin, sich an seine Feinde ausliefern zu lassen.

Den in derselben Nacht Festgenommenen wurde «Teilnahme an Riten, Unterordnung unter die hierarchischen Strukturen und bedingungsloser Gehorsam» zur Last gelegt. So gesehen hätte die Staatsanwaltschaft allerdings auch die Spieler des FC Sion einbuchten müssen. Da die Mafiosi eingebürgert sind, müssen sie ihrer Auslieferung nach Italien zustimmen. Toni der Schwätzer hat sein Einverständnis bereits erteilt. Die Linguini in der Schweizer Zelle waren nie al dente.

Rolando der Schreiber

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