Der Kluge steht im Zuge

Ruedi Stricker | veröffentlicht am 01.12.2016

Montag: Mit Helen zum Bahnhof gefahren. Der Schalter ist geschlossen, daher am Automaten versucht, ein Billett zu kaufen.

Der Kluge steht im Zuge
Johannes Borer | (Nebelspalter)

Ein paar Mal bestätigt, dass ich den Verkaufsvorgang fortsetzen will, aber am kleinen Bildschirm passiert nichts, bis das Gerät endlich meldet, dass es mich nicht mag: «TIMEOUT». Mit dem Taxi doch noch rechtzeitig zur Arbeit gekommen.

Dienstag
Ich gebe aber nicht so schnell auf. Darum lässt mich Helen wieder am Bahnhof aussteigen. Der Schalter ist geschlossen, weswegen der Automat nun die letzte Chance bekommt. Aber er mag mich wirklich nicht: «TIMEOUT». Ganz am Schluss der langen Menschenschlange neben mir befindet sich ein zweiter Automat. Als ich nur noch drei Menschen von diesem Gerät entfernt bin, fährt gerade mein Zug weg. Zum Glück gibt es Taxis.

Mittwoch
Helen hats eilig und fährt ohne Umweg zur Arbeit. Aber ich gebe nicht auf und fahre mit dem Bus zum Bahnhof. Erspare mir den Umweg via Schalter und gebe dem Auto­maten die letzte Chance. Diesmal klappts. Steige ein und werde schon kurz nach dem Verlassen des Bahnhofs freundlich darüber aufgeklärt, dass mein Halbtaxabo, das vermutlich in Helens Auto liegt, eine Erfindung sei. Mit einem Zuschlag von weniger als hundert Franken erspare ich mir die Verhaftung und gelte gemäss Auskunft des Beamten weiterhin als «nicht vorbestraft».

Donnerstag
Bereite mich generalstabsmässig auf die Reise zum Arbeitsplatz vor. Lasse mir von Helene mein Halbtaxabo aushändigen und bin schon zwölf Minuten vor der Abfahrt meines Zugs am Bahnhof. Der erste Automat hat einen schlechten Tag, aber der zweite händigt mir problemlos ein Billett aus. Pünktlich zum Zeitpunkt der geplanten Abfahrt des Zuges meldet der Lautsprecher eine Verspätung von dreissig Minuten. Stellwerkstörung. Zum Glück gibt es Taxis.

Freitag
Heute funktionierts perfekt. Halbtaxabo dabei, Billett kommt, Zug ist pünktlich. Mache es mir bequem und lese die Zeitung. Super, ohne Stau und Stress zu fahren. Beim Aussteigen merke ich, wie klebrig die Substanz auf meiner Hose ist, die mein Vorgänger auf dem Sitz hinterlassen hat. Helen bringt mir eine neue Hose an den Arbeitsplatz, mein Auftritt im Marketingmeeting ist gerettet.

Montag
Wenn es diese Woche zwei Mal klappt, kaufe ich mir ein GA.Die Bahn scheint noch beliebter als letzte Woche. Es ist kein einziger Sitzplatz frei. Macht nichts.

Dienstag
Auch heute klappts. Sogar mit Sitzplatz. Nicke ein, werde nach wenigen Minuten geweckt: «Das Billett ist unaufgefordert vorzuweisen!» Doch es gibt diesmal keine Busse.

Mittwoch
Vor den Toiletten gibt es eine lange Schlange. Und wenn jetzt der Kontrolleur mein Billett sehen will, wenn ich auf dem WC bin? Gibt es dann wieder eine Busse? Aber auch heute: Ein voller Erfolg, die Bahn wird mir immer sympathischer.

Donnerstag
Fussballfans fahren auch Zug. Eine durstige, fröhliche Mens
chenmenge bevölkert das Abteil. Schicke Helen ein SMS: «Brauche dringend unverkotzte Kleider. Bin ab 08:10 im Büro. Sorry und danke.»

Freitag
Verschlafen, aber den Zug doch noch erreicht. Während der Fahrt fast wieder eingenickt. Gegenüber sitzt eine sympathische Dame, die mir erklärt, ab nächstem Jahr könne man nicht mehr versehentlich einschlafen. «Sitzplätze nur noch für VIPs, aber im Stehen hat man einen besseren Überblick, wissen Sie.» Am Montag kaufe ich ein Generalabonnement.

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