
Es ist nicht zu übersehen, dass Gilles Marchand im Moment auf einer Goodwill-Tour sein muss. Keine Viertelstunde, nachdem wir per E-Mail unsere Interview-Anfrage an den frisch gewählten Generaldirektor der SRG abgesetzt hatten, war der Termin von seiner Assistentin bereits zurückbestätigt worden.
«Monsieur Marchand mischt sich in seiner freien Zeit gerne ein wenig unter die Bürgerinnen und Bürger des Landes», flötete die PR-Antwort, und so trafen wir den designierten Staatsmedienmogul im Zürcher Café Fauchon, wo ihm der Kellner gerade einen 1998er Sauterne Château Lafaurie-Peyraguey entkorkt hatte, der mit seinen betörenden Noten von Pfirsich, Honig und Affenkotze perfekt mit der bestellten Terrine de foie gras zu harmonieren versteht, wie mir mein Gegenüber später noch umständlich auseinandersetzen sollte.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Gilles Marchand spricht tatsächlich sehr schlecht Deutsch. Noch schlechter, als das unvorteilhafte Porträt in der SRG-kritischen «Weltwoche» hätte vermuten lassen. Wir hegen deshalb begründeten Verdacht zur Annahme, dass der Sauterne im Café Fauchon in Wirklichkeit nicht Akzente von Affenkotze, sondern von Aprikose aufgewiesen hat.
In der Deutschschweiz ist der Mann, der am 1. Oktober 2017 offiziell das Amt von Vorgänger Roger de Weck übernehmen wird, noch nahezu unbekannt. Nun mögen einige Leser sicher einwenden, dass auch der gebürtige Freiburger de Weck schon sehr schlecht Deutsch gesprochen hat. Mehrere Linguisten haben uns aber versichert, dass Roger de Weck die Zwischenräume zwischen den zahlreichen Fremdwörtern durchaus mit deutscher Lexik und Grammatik auszufüllen pflegt, diese nur einfach einer sehr eigentümlichen Satzmelodie unterwirft.
Immerhin war Roger de Weck während des beruflichen Werdegangs vorübergehend Chefredaktor zweier Lokalzeitungen, beim in Zürich und bei der in Hamburg, während Gilles Marchand nie als Journalist in Erscheinung getreten ist. Noch fast ein Jahr hat Marchand nun Zeit, sein sprachföderalistisches Manko auszumerzen. Derzeit ist Marchand jedoch weit von auch nur minimaler Sprachkompetenz entfernt: Über weite Strecken des Interviews macht er nicht den Eindruck, dass er die Fragen wirklich verstanden hat, Zustimmung oder Kopfschütteln folgen vermutlich reiner Intuition. So pflichtet er der Frage, ob ich ihn als den vermutlich «letzten SRG-Generaldirektor und Nachlassverwalter des Gebührenmonsters» bezeichnen dürfe, ebenso eifrig bei wie meiner Frage, ob ich das Interview anschliessend ohne Gegenlesen veröffentlichen dürfe. Auf der anderen Seite verneint er vehement die Lieblingsthese seines Vorgängers de Weck, die SRG SSR bilde mit ihren Dienstleistungen die vielleicht wichtigste Klammer für den Zusammenhalt des Landes - nachdem nationale Institutionen wie Swiss, Post und SBB weitgehend entzaubert seien. Gilles Marchand wird das Ruder auf dem SRG-Deck in sehr stürmischen Zeiten übernehmen: Die aus SVP-Kreisen stammende No-Billag-Initiative, welche bekanntlich nichts weniger als die Abschaffung von gebührenfinanziertem Fernsehen und Radio verlangt, kommt demnächst vors Volk. Das Vertrauen in die etablierten, seriösen Medien ist aber auch jenseits der SVP-Wählerschaft auf einem Tiefpunkt angelangt: Der Trump-Effekt hat die Schweiz erreicht.
Während die Mainstream-Medien in ihren Feuilletons den Begriff des «postfaktischen Zeitalters» im Hinblick auf die chronische Wahrheitsferne erfolgreicher Populisten wie Trump philosophisch ausdeuten, stellen umgekehrt immer mehr Bürger die Glaubwürdigkeit der Medien selbst infrage, die mit ihren Analysen und Umfragen in Bezug auf die US-Präsidentschaftswahlen so grandios daneben zu liegen vermochten.
Ob er sich denn nicht auch sorge, frage ich, dass das Schlimmste erst noch bevorsteht? Dass die SRG verschwinden und die öffentliche Meinung zum Spielball von Demagogen und Verschwörungstheoretikern werden könnte? Dass letztlich unsere Demokratie und unsere Freiheit auf dem Spiel stünde? Während der Kellner an unseren Tisch tritt, scheint Marchand sichtlich um Verständnis zu ringen. Ich schiebe ein zaghaftes «Liberté?» nach, und seine Miene hellt sich sofort auf. «Lieber Tee? Bien sûr! Bringen Sie dem jeune homme un thé, für mich lieber un express und un petit Remy Martin!»