
De gustibus non est disputandum, so sagt bekanntlich der Lateiner. Und da ich keiner bin, also mich ausser an dieses Zitat nur noch an ein paar wenige andere erinnere (das wichtigste: «Mundus vult decipi - die Welt will betrogen werden»), hier die Bedeutung: Über Geschmacksfragen lässt sich nicht streiten. Natürlich ist das Humbug!
Zuallererst: Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Es gibt guten und es gibt schlechten. Und wer sagt, was gut und schlecht ist? Ich natürlich, wer sonst? Schliesslich bin ich genauso kompetent wie jeder andere Heini (oder jede andere Heidi) auch, ständig alles, aber wirklich alles, in Gut und Schlecht zu unterteilen. Vielleicht sogar gelegentlich kompetenter, da ich mich mit gewissen Fragen mehr und intensiver beschäftige als andere.
Etwa mit Krimis. Jeder oder jede, der oder die das tut, wird ein Gefühl dafür entwickeln, ob ein Krimi gut oder schlecht ist. Sicher, nicht alle mögen dieselben Krimis. Und klar, man darf auch schlechte mögen. Das ist ja auch mit «de gustibus» gemeint. Doch heisst das nicht, dass es keine Qualitätskriterien gibt. Qualität macht ja geradezu aus, dass man sie rational nicht fassen kann. Doch man kann sie spüren.
Man fühlt es einfach
Mit der Kunst verhält es sich ähnlich. Es gibt Werke, etwa die langen, schlanken Figuren von Alberto Giacometti, die vermutlich alle ganz automatisch mit Qualität beziehungsweise Kunst assoziieren. Auch wenn sie nicht sagen könnten weshalb.
Doch zurück zu den Krimis, denn da wird es individueller. Mir sagen vor allem die zu, die nicht nur Spannung bieten, sondern mich auch zum Lachen bringen oder nachdenklich machen. Zwei Beispiele, die mir Qualitätsbelege sind: Man hat ihr wieder den Führerschein abgenommen, sie ist das dritte Mal in den letzten anderthalb Jahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Ich sag zu ihr: «Himmel, kannst du nicht was trinken, ohne stockbesoffen zu werden?» Sagt sie: «Was soll denn das für 'nen Sinn haben?» (Elmore Leonard: Callgirls)
Vergiss nicht, dass du im Grunde keine Ahnung hast, was Esme widerfahren ist und was sie geprägt hat. Das weiss man immer nur über sich selbst, und die meisten wissen nicht mal das, denn der Zustand hält kaum lange genug an, um ihn zu analysieren. (Robert Wilson: Ihr findet mich nie)
Nur damit das klar ist
Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Ich plädiere hier keineswegs für das Primat der Gefühle über die Gedanken, sondern ich werbe hier für intelligentes Fühlen. Damit meine ich, dass wir nicht jedem unserer Impulse unverzüglich nachgeben sollten (man denke etwa an Heroinabhängige oder an Donald Trump), sondern dass wir sie reflektieren und erst nach sorgfältigem Abwägen zur Tat schreiten.
Auf den Punkt bringt es die Redensart: Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. Sagt einer, er denke, bedeutet das noch lange nicht, dass wirklich ein Denkvorgang vorliegt, sondern es kann sein (und beschränkt sich häufig darauf), dass der Betreffende ganz einfach nur seine Meinung zum Ausdruck bringt.
Das ist zwar schön und gut, doch es reicht nicht. Eine mentale Anstrengung darf schon erwartet werden, wenn sich jemand zu Geschmacksfragen äussert. Jeder (und jede) hat seine Vorstellungen von der Welt? Geschenkt! Doch ein Argument ist das nicht, nur gerade das Feststellen einer Tatsache. Und das soll das Ende der Geschichte sein? Umgekehrt: Hier fängt die Geschichte erst an, zumindest sollte sie das.
Hugo der grösste Trottel?
Nehmen wir, nein, nicht schon wieder Donald Trump. Oder vielleicht doch, er drängt sich ja wirklich auf. Nein, doch lieber nicht, nehmen wir stellvertretend Hugo Müller. Wenn dieser von einer Arbeitskollegin für einen Trottel gehalten wird, ein Freund ihn hingegen den Grössten findet, sollte das noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Vielmehr sollte dies der Anfang sein.
Denken müsste jetzt angesagt sein. Ab sofort sollte argumentiert, debattiert und gestritten werden. Wenn man am Ende einer solchen Auseinandersetzung zum Schluss kommt, dass man sich nicht einigen kann, dann hat man seine Hausaufgaben gemacht. Und erst dann darf man jemanden ernst nehmen, der behauptet, dass sich über Geschmacksfragen nicht streiten lasse.