
Satire ist die Waffe der Machtlosen gegen die Mächtigen, lautet eine gängige Definition. Und so verbietet auch die Nebelspalter-Satzung von 1315, «gegen enkeinen zuo treten, der bereyts jämberlich zu buoden lieget». Oskar Freysinger, abgewählter Walliser Staatsrat, so viel ist klar, liegt derzeit zweifellos am Boden...
Und: Er hat in seinem Heimatkanton nie zu den Mächtigen gehört. Die Macht, das ist dort noch immer die CVP. Irritierend schnell hat diese CVP-Mehrheit entschieden, den frisch gewählten Staatsrat zu vereidigen, obschon die Justiz wegen Wahlbetrugs ermittelt und ohne dass das Ausmass dieses Betrugs bereits fassbar wäre. Die gefälschten Stimmzettel indessen sind nur das Ende einer Reihe von Skandalen, welche die Wahlen im Rohnetal begleitet hatten: Besonders unappetitlich war die Aktion «Schneidet ihm den Schwanz ab!», die Freysingers abgeschnittenen Pferdeschwanz zeigte - samt blutigem Hinterkopf.
Von einem besorgten «Quo valais?» getrieben, hat sich diese Zeitschrift deshalb entschieden, den Fall Freysingers gegen den schadenfrohen Mainstream auszuleuchten und seine Gegner, allen voran die CVP, kritisch zu hinterfragen. Keine einfache Aufgabe. Denn Freysinger, der Hauptprotagonist, war seit dem Bekanntwerden seiner Abwahl unauffindbar, reagierte weder auf Anrufe noch auf E-Mails. Nur der Hartnäckigkeit und Intuition unseres Sonderkorrespondenten Armin Imboden, der sich vor dem verlassen wirkenden Wohnhaus Freysingers postierte, ist es zu verdanken, dass der Beitrag an dieser Stelle nicht schon sein Ende findet.
Zwei Tage und zwei Nächte hatte Imboden ergebnislos vor dem Haus ausgeharrt und gehofft, Freysinger dort anzutreffen und ihm Gelegenheit zu geben, das erlittene Unrecht zu kommentieren. Erst in der dritten Nacht fiel Imboden dann ein ganz schwacher Lichtschein auf, der durch eine haaresbreite Fuge in der Kellertür schimmerte. Der Schein musste aus jenen Räumlichkeiten stammen, die Freysinger vor einigen Jahren unachtsamerweise einem SRF-Team gezeigt hatte.
Imboden trat heran, klopfte leise gegen das Holz und flüsterte in fragendem Tonfall «Oskar Freysinger ...?» - da öffnete sich urplötzlich die Tür, zwei Hände packten zu und zogen ihn eilig hinein; wenige Sekunden später befand er sich im Innern des Kellerraums, den kaum mehr Licht erhellte als der Schimmer, der zuvor nach aussen gedrungen war. «Oskar! Je bent eindelijk terug», tönte es neben ihm, und ein Fremder warf ihm mit einem Schulterklopfen ein Tuch über.
Mit pochendem Herz kombinierte Imboden blitzschnell, dass der niederländisch klingende Fremde ihn im Halbdunkel mit Freysinger verwechseln musste. Vermutlich half dabei, dass auch Imboden eine ähnliche Pferdeschwanz-Frisur trug. Eine weitere Person im Raum sollte seine Vermutung gleich bestätigen: «Reiss di zom, mei lieba Geert, der Oskar schaut ja ganz verdattert», sagte eine näselnde Stimme, die einer Person gehören musste, die einige Meter vor ihm auch in ein Tuch gehüllt an der Wand kauerte. «Hou je mond, Hofer!», erwiderte der Holländer.
Verdattert war Sonderkorrespondent Armin Imboden in der Tat. Er befand sich in Freysingers Keller in Gesellschaft des Holländers Geert und des Österreichers Hofer, und er wurde offenbar für den Hausherrn gehalten. Dennoch machte Imboden, in sein Tuch gehüllt und geschützt im Dunkel des Gewölbebogens, weiterhin instinktiv alles richtig: Seine wahre Identität blieb unentdeckt, während sich seine Augen mehr und mehr an die Verhältnisse gewöhnten und er feststellte, dass neben Geert und Hofer noch eine Deutsche namens Frauke anwesend war, ebenfalls in ein Tuch gehüllt, wobei sich all die Tücher bei besserem Augenlicht nun als historische Kriegsflaggen entpuppten.
Indem Imboden jedesmal, wenn das Wort an ihn gerichtet wurde, einen Hustenreiz vortäuschte, gelang es ihm, sich weitere wertvolle Minuten der Enttarnung zu entziehen. Man erwartete offenbar noch eine Französin namens Marine, um mit dem geplanten Referat «Wie Europa selbst nach rechts kippt, um uns zu verhindern» starten zu können.
Doch dann erkannte er - also nicht Freysinger, sondern Imboden -, dass das Ganze für seinen Auftrag, die Walliser CVP mal richtig in die Pfanne zu hauen, überhaupt nichts brachte. Als es draussen abermals klopfte, rannte Imboden deshalb erleichtert am verdutzten echten Freysinger - der nun wirklich zurückgekehrt war von einer Angelegenheit im Oberwallis - vorbei zurück ins Freie. Die Flagge, die Imboden versehentlich mitnahm, hängt inzwischen im Redaktionskeller.