
Wenn man in diesen Tagen in einer türkischen Zeitung ein Bild von Angela Merkel mit Hitlerschnäuzchen und Hakenkreuzarmbinde sieht, müsste man ja eigentlich aufschrecken und so etwas denken wie «Uiuiuiuiui» oder «Ooooooh» oder «Heilandtonnernochmal». Es wird aber je länger, desto schwieriger,...
Wenn man in diesen Tagen in einer türkischen Zeitung ein Bild von Angela Merkel mit Hitlerschnäuzchen und Hakenkreuzarmbinde sieht, müsste man ja eigentlich aufschrecken und so etwas denken wie «Uiuiuiuiui» oder «Ooooooh» oder «Heilandtonnernochmal». Es wird aber je länger, desto schwieriger, die erforderliche Empörung aufzubringen. Das Problem an Nazivergleichen ist ihre Häufigkeit. Kaum ein Gesicht auf einem Wahlplakat, das nicht mal einen Schnauz aufgemalt bekommen hat.
Jede Meinungsverschiedenheit landet inzwischen irgendwann beim Nazivergleich. Auch im Alltag. Angestellte vergleichen ihre Chefs mit Hitler, Kinder ihre Eltern, Eltern ihre Kinder. Und dann ist es wie in der Geschichte mit dem Hirtenjungen, der immerzu ruft: «Der Wolf kommt!» Diese «Achtung, Hitler!»-Rufe waren jetzt so oft falscher Alarm, dass möglicherweise dann, wenn tatsächlich jemand kommt, der so schlimm wäre wie Hitler, keiner mehr reagiert. Man stumpft einfach ab.
Wenn die Nazivergleiche auch eine lange Tradition haben, liegen ihre Anfänge doch weitgehend im Dunkeln. Einer Legende zufolge habe Adolf Hitler selbst den Stein ins Rollen gebracht, indem er Winston Churchill mit Hitler verglichen habe, worauf Churchill seinerseits Hitler mit Hitler verglichen habe, was Hitler in Rage gebracht haben soll. Aber so genau weiss man das nicht. Nazivergleiche sind mittlerweile dermassen in den Alltag integriert, dass es ist wie mit den Handys: Man kann sich kaum mehr vorstellen, wie es vorher war.
Womit wurden die Menschen eigentlich vor der Nazi-Zeit verglichen? Mit den Hunnen? Sagte man, Politiker XY ist wie Attila? Verschwinden würden die Nazivergleiche erst, wenn mal einer käme, der wirklich schlimmer wäre als Hitler und mit dem dann Politiker verglichen würden; auch wenn sie in Wirklichkeit weniger schlimm wären als er. Es ist aber - abgesehen von der Vergleichsauffrischung - überhaupt nicht wünschenswert, dass jemand noch schlimmer ist als Hitler.
Daher herrscht weiter Langeweile. Ja-ja, Merkel ist Hitler, Erdogan ist Hitler, Trump ist Hitler, deine Mutter ist Hitler. Zum Gähnen. Schön wäre etwas Kreativität in der Beschimpfungsrhetorik. Man könnte sich an den Bayern orientieren, die diese Kultur sorgfältig pflegen. Dann könnte Erdogan Merkel zum Beispiel sagen: «Du Mistgurgel, du hinterfotzige!» Dann würde sie ihm antworten: «Bauerndadda, damischer!» Dann er wieder: «Dreckmatz!» Sie: «Dimpfel!» Er: «Fegeisen!» Sie: «Haderlump!» Er: «Wedahex!» Das würde der Diskussion guttun. Denn niemand ist Hitler. Ausser Hitler. Und der ist auch nicht mehr Hitler.