Iss und trink mit deinem Bruder

Roland Schäfli | veröffentlicht am 03.04.2017

Und wieder hat uns das Rezensionsexemplar eines neuen Dan-Brown-Bestsellers erreicht: Professor Langdon kommt endlich dem Geheimnis der geheimnisumwitterten Bruder-Klaus-Klause auf die Spur!

Iss und trink mit deinem Bruder
Tomz (Tom Künzli) | (Nebelspalter)

Es dauerte einen kleinen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit in der Klause gewöhnt hatten. Prompt stiess er sich seien Kopf an der Decke. Robert Langdon, berühmtester Symbologe der Welt, mass in der Länge 1 Meter 80. Bruder Klaus musste also genau gleich gross gewesen sein. Die Zeiger seiner Micky-Maus-Uhr leuchteten im Dunkeln des 3,10 Meter langen, 2,8 Meter breiten Raums. Die Tannenbalken waren rauchgeschwärzt. Was in Langdon, dem ewigen Skeptiker, sofort die Frage aufkommen liess, ob Niklaus von der Flüe vielleicht doch eine Kochstelle betrieben hatte. Obwohl er der Überlieferung nach 20 Jahre nichts gegessen, nur Wasser getrunken hatte. Die Diät der katholischen Heiligen. Und der Supermodels.

«Und?» Peter von Matts erwartungsvolle Stimme riss ihn aus den Gedanken. Robert Langdon wollte kein vorschnelles Urteil abgeben. Sein Wort als Harvard-Experte für sakrale Mystik wog schwer. Darum hatte Peter von Matt ihn ja holen lassen. Der Schweizer Schriftsteller musste die Festschrift verfassen. Für den Staatsakt am 30. April. Und sicherstellen, dass die Wunder um Bruder Klaus wahr sind. Wie stünde die Schweiz sonst da? Immerhin soll ihr offizieller Schutzpatron sogar das Wunder gewirkt haben, die Schweiz vor den Weltkriegen zu bewahren. Ein Wunder, das in jüngerer Vergangenheit auch die Grossbanken für sich in Anspruch nahmen.

Niklaus von Flüe war mehr als ein Eremit. Er war auch Politiker. So­zusagen die Ur-Zelle der CVP. Er kämpfte als Söldner im Alten Zürichkrieg gegen die Zürcher, weshalb er vor allem in Basel verehrt wird, wirkte dann als Richter, auch als Grossbauer, noch vor der Erfindung der Subvention. Weil er vorher schlicht zu beschäftigt war, erst mit 50 nämlich, wenn Männer in der Midlife-Crisis ihren Glauben an Motorräder wiederfinden, fand Bruder Klaus Gott. Dafür verliess er Frau und Kinder.

«Sehen Sie», forderte von Matt den Professor eifrig auf, «diesen Stein nahm er als Kopfkissen.» Robert Langdon kniete sich neben das steinharte Kissen. Seine Stimme klang in der kleinen Klause etwas entmutigt: «Ich bin Professor für Symbologie. Dies hier ist ein einfacher Stein aus einem Flussbett.» Langdon sah sich um. «Schlief er nicht auf einem Brett?» Von Matt zeigte auf ein längliches Holzscheit. Das müsse es sein, frohlockte er, als sei die heilige Reliquie eben erst hier aufgetaucht. «Ich bin Experte für religiöse Ikonologie», sagte Langdon, «aber das ist doch ein einfaches Brett.» Er wusste von anderen Männern, die nach erfolglosen Versuchen, ein Ikea-Bett zusammenzubauen, ebenfalls nur auf einem einzelnen Brett am Boden schliefen. Darin war nichts Ungewöhnliches.

Langdon, der bei Kerzenlicht ein bisschen aussah wie Tom Hanks, suchte den Raum nach den in seinen Fällen üblichen Spuren einer Geheimgesellschaft ab. Die Bezeichnung «Bruder Klaus» liess auf eine Bruderschaft schliessen. Eine Brotherhood. Sein Wissensdurst war nun geweckt, und er würde ihn nicht mit Mineralwasser stillen können. Er, Robert Langdon, musste wissen, warum dieser Asket ausgerechnet in die Innerschweiz gekommen war. Wer nach dem Sinn des Lebens sucht, der kommt doch nicht hierher. Von Matt sah fasziniert zu, wie der Symbologe auf seinen Collegeschuhen die Zelle durchmass.

Einmal mehr bewies er sein akademisches Wissen: «In Niklaus von Flües Zeit befand sich das christliche Abendland im Umbruch ... Konstantinopel war an die Osmanen gefallen ... die Türkengefahr prägte die Politik ...» Von Matt verstand: «Die Türkengefahr! Genau wie heute!» Als Langdon unter die Bettstatt griff, fand er sich bestätigt: eine Schnur, auf die 50 Perlen aufgeschlauft waren. «Das ist es!» Rosenkränze hatte es damals noch nicht gegeben! Auf dem Bild war er mit dieser Schnur dargestellt. Langdon folgte dem Draht, die Perlen dienten nur der Tarnung, quer durch den Raum, dann den Tannenbalken entlang. Er verlief zu einer dunklen Ecke. Wo Langdon fand, was er vermutet hatte: ein Mikrofon.

Einer plötzlichen Eingebung folgend sagte der Professor ins Sprechgerät: «Hallo, An­kara? Bitte kommen.» Zwar waren seine Bücher in zahlreiche Sprachen übersetzt worden, aber der türkischen war Robert Langdon nur teilweise mächtig. Dennoch verstand er die Antwort, die aus dem alten Empfänger knisterte: «Bruder Klaus? Lange nicht gehört.» Es war der türkische Nachrichtendienst. Er bespitzelte also nicht nur die Universitäten. Sondern auch christliche Kapellen. Hatte Bruder Klaus so die Schweiz vor dem Weltkrieg bewahrt?

Als sie ins Freie traten, war von Matt verstört. Wie sollte er diesen Fund in seiner Ansprache einordnen? «Vielleicht ist es besser ... -» Robert Langdon hob abwehrend die Hand. Er lehnte die Verantwortung für den Fund ab. Und wenn von Matt diese spektakuläre Erkenntnis der Bruder-Klaus-Forschung vorenthalten wollte, ihm sollte es recht sein. Er hielt es mit dem alten Sprichwort «Iss und trink mit deinem Bruder, aber habe keine Geschäfte mit ihm.» Darum hatte Robert Langdon ihm ja auch nichts von der Flasche Himbeer-Sirup verraten, die Klaus heimlich in einer hohlen Stelle hinter der Holzvertäfelung versteckt hatte, um das Brunnenwasser etwas aufzupeppen.

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