Botanischer Sprachgarten

Ernst Bannwart | veröffentlicht am 10.05.2017

Nachbarn, holde Gattin, Freund und Feind würden jederzeit bereitwillig attestieren, dass ich mit keinerlei botanischen Fähigkeiten vorbelastet bin. Wo andere dank grünem Daumen mühelos auf einen ebenso grünen Zweig kommen, scheinen unter meiner Obhut nicht einmal hartnäckigste Unkräuter auch nur halbwegs gedeihen zu wollen.

Botanischer Sprachgarten
Peter Ruge | (Nebelspalter)

Nach dem Motto «Wo ein Wille ist, ist auch ein Umweg», habe ich trotzdem den Versuch unternommen, der Schmach des «begabungsfernen» Gartenbesitzers zu Leibe zu rücken. Und da es sich genau genommen um ein Heilungsbedürfnis handelt, lag es nahe, mit der Lektüre bei den Heilpflanzen zu beginnen. Doch wen wunderts, wenn im Kampf zwischen seriösem botanischem Wissensdurst und wild wachsender Fantasie letztere obsiegt? Schuld daran tragen dabei die blumigen Eigennamen mancher Heilpflanzen, die - so müsste man doch annehmen dürfen - einigermassen zuverlässige Rückschlüsse auf eine entsprechende Heilwirkung zulassen sollten.

Da wäre zum Beispiel der Augentrost. Ich meine, da müsste doch ein Riesengeschäft drin liegen, eingedenk der durch so viele Umwelteinflüsse dauernd strapazierten Sehwerkzeuge. Werbeslogan: «Täglich drei Tropfen Augentrost nach dem Fernsehen oder Websurfen, und Ihre Träume werden wieder glasklar» oder so. Oder der Bockshornklee! Werden wir nicht dauernd ins Bockshorn gejagt? Auch hier also ein grenzenloser Absatzmarkt: «Nimm Bockshornklee zum Frühstückstee, dann tut das Horn dir nicht mehr weh.» Was meinen Sie, wie da die Schwarztee-Lobby ins Zittern käme?

Aber man braucht ja nicht immer gleich ans Vermarkten zu denken. Es gibt auch andere bemerkenswerte Feststellungen. Da heisst es zum Beispiel: Brombeere, gemeine. Alle Achtung vor einem Verfasser, der zugibt, dass die Brombeere gemein ist. Versucht sie doch unentwegt, mit ihren Stacheln jene Früchte zu verteidigen, für die sie zugleich schamlos mit Duft und Farbe wirbt. Wann aber, bitte sehr, würden Sie Bruchkraut, kahles, verschreiben? Wer gibt schon gerne öffentlich zu, wenn er Bruch gemacht hat? Ganz anders ist das beim Ehrenpreis, der konsequenterweise wegen der Gefahr einer selbst verordneten Überdosierung nur gegen Rezept abgegeben werden dürfte.

Da gäbe es auch noch den Faulbaum oder die Hauhechel, dornige, die mir aber beide zumindest vom Namen her wenig konstruktive Heilwirkung versprechen. Bei der gros­sen und kleinen Klette wünschte ich mir sogar manchmal eher ein Gegenmittel, und von der Kreuzblume, der bitteren, dass sie vornehmlich andere schlucken möge. Ob das echte Lungenkraut als Alternative zum verpönten Tabak angewendet werden könnte, entzieht sich allerdings gänzlich meiner Kenntnis.

Aber eines werde ich trotz allem mal versuchen: den Meisterwurz in meinem Garten anzusiedeln. Sollte mir damit wider Erwarten Erfolg beschieden sein, so müsste man  umgehend ein altes Sprichwort entsprechend relativieren: Dann wäre nämlich tatsächlich zum ersten Mal ein Meister(wurz) vom Himmel gefallen.

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