
Die Weindegustation von heute ist nichts anderes als «Betreutes Trinken». Gut, das Weinvokabular ist schwierig, fast schon diffizil, die Weinbeschreibungen der Enoteca Unspunnen in Träubliswil zum Beispiel sind vor zwei Jahren nur knapp am Literaturnobelpreis vorbeigeschrammt: «Feuchter Drehtabak, eine Spur Espresso und der eingedickte Saft eines Lammbratens …» Übrigens ein Wein, der sich wirklich lohnt: eine komplette Mahlzeit mit Espresso und Zigarette danach.
Viele Mitbürger haben Komplexe und Angst, sich bei einer Weinverkostung zu blamieren. Dabei geht es nicht darum, ausschliesslich komplexe Weine zu trinken. Wenn der Vinothekar von Ihnen wissen möchte: «Welche Lage?», dann antworten Sie vorsichtshalber: «Stabile Seitenlage, okay?» Erwähnen Sie besser nicht, dass Sie sich bisher bevorzugt im Lambrusco-Flagship-Store eingedeckt haben. Wenn Sie den Château Cheval Blanc nicht vom Guggisberger Grünburgunder unterscheiden können oder Pomerol nicht von Aperol - halten Sie einfach die Klappe!
Wenn jemand also behauptet, der Wein korrespondiere superb mit Wild, nehmen Sie Abstand davon, zu fragen: «Und wie?» Überspielen Sie die Situation besser mit einem launigen Zweizeiler: «Warmes Bier und kalter Rotwein, das wird irgendwann mein Tod sein!» Denken Sie sich einen Dichter dazu aus - etwa den Frühromantiker Novartis! Registrieren Sie stets, wie Ihre Umgebung reagiert, und loben Sie, wenn andere loben: «Das ist wirklich der fulminanteste Gebissdragoner seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1893!» Passt immer, da können Sie nichts falsch machen. Sie können sogar einen draufsetzen, indem Sie - natürlich beiläufig - murmeln: «Hhm … Minimale postfermentative Maischestandzeit und absolut keine Kaltmazeration … Schmeckt man deutlich!» Noch etwas Wichtiges: Es heisst nicht: Somalier. Das sind nämlich die mit den Piratenschiffen. Man sagt einfach: Sommelier.
Hauptsache, der Wein ist trocken. Wobei: Der Wein mag natürlich so trocken sein, wie er will - wenn der Kunde genauso trocken ist, bleibt er ungetrunken. Erfinden Sie aus heiterem Himmel, um weiter Eindruck zu schinden, eine Meldung aus dem ‹Wine Spectator›: Das «Massachusetts Institute of Cultivated Intoxication» habe soeben herausgefunden, dass Psychopharmaka die Leber angreifen können - ausser, wenn diese in Alkohol eingelegt sei. Respekt ist Ihnen sicher. Eine neue Leber kriegen Sie zur Not immer für gutes Geld bei Zalando. Erinnern Sie sich an den schönen mexikanischen Trinkspruch: «El hígado no existe - es gibt keine Leber!»
Steht auf einer Weinflasche «Reserve», dürfen Sie die trotzdem schon aufmachen. Verwechseln Sie Bukett nicht mit Bankett und Terroir nicht mit Terror, selbst wenn Sie damit manchmal gar nicht so falsch liegen! Die Balance meint nicht unbedingt Ihre aktuelle Gehtüchtigkeit. Vertikalprobe bedeutet nicht zwingend, dass Sie die Weinprobe in aufrechter Haltung verlassen müssen. Deutlich sollte auch auf den Unterschied zwischen Test und Probe hingewiesen werden, gerade für unsere Leser aus dem Wallis: Ein Alkoholtest ist keine Weinprobe. Abfüllen kann man ja sowohl den Wein als auch den Weintrinker. Vorsicht generell bei Witzen über Wein, da bedarf es längst eines trockenen Humors, halbtrocken wird nicht mehr verlangt.
Versehen mit diesen wertvollen Anregungen sollte es Ihnen gelingen, die entsprechende Lokalität nicht nur angeheitert, sondern auch heiteren Gemüts zu verlassen. Denken Sie aber immer daran, dass es auch noch andere Getränke gibt, denn es steht geschrieben bei den Ephesern 5, 18, Bahnsteig 9: «Berauscht euch nicht mit Wein, das macht zügellos - sondern lasst euch vom Geist erfüllen!» Das ist ein klares Bekenntnis zum Himbeerschnaps. Lassen wir es vielleicht bewenden mit einem Satz des griechischen Philosophen Plankton, der da: «Wenn Gott uns hätte nüchtern haben wollen, wozu hat er uns dann den Wein geschenkt?»