Die Geschichte der Beeinflusser und Beeinflussten

Roland Schäfli | veröffentlicht am 02.11.2017

Tatsächlich sind es nicht die grossen Figuren der Weltgeschichte, die ihre Zeitgenossen beeinflussten. Sondern ihre kleinen Günstlinge und Mitläufer, die ihnen aus reinem Eigennutz zur besonderen Tat rieten. Wir nennen die wichtigsten Influencer der Influencer.

Die Geschichte der Beeinflusser und Beeinflussten
Andy Harper |

Jahr null, 24. Dezember: Der Engel Ga­briel war einer der allerersten Frauenflüsterer. Er verriet Maria nicht nur das Geburtsda­tum - ausgerechnet zu Weihnachten -, sondern auch gleich das Geschlecht des Kindes, wovon die Mutter sich gerne hätte überraschen lassen. Gabriel nahm nochmals Einfluss, indem er der jungen Familie riet, nach Ägypten zu fliehen. Allerdings hatte Josef, der nicht in den Genuss von vier Wochen Vaterschaftsferien kam, ohnehin vor, das als nicht besonders gastfreundlich bekannte Bethlehem zu verlassen. Er gab denn auch eine schlechte Benotung auf Tripadvisor ab: «Im Stall wars zugig, und in unserem Zimmer waren sogar Tiere einquartiert.»

30 n. Chr.: Obwohl seither schon 30 Jahre vergangen sind, lässt Jesus sich erst jetzt taufen. Der Taufpate Johannes ist einer der erstaunlichsten Propheten in jenem Landstrich. Vor allem darum, weil er mitten in der Wüste immer wieder Wasser zum Taufen auftreiben kann. Er gilt als einer der grössten Influencer des Messias, denn die Idee mit der Taufe, die Johannes sich nicht hat patentieren lassen, wird zu einem der Markenzeichen der neuen Weltreligion. Zu dieser Zeit hat Jesus freilich erst zwölf Follower.

1307, 20. April, vormittags: Der Knabe Walter (Rufname: Walterli) will an den Jahrmarkt nach Altdorf und quengelt so lange, bis sein Vater Wilhelm ihn mit ins Dorf nimmt, wo es zur Konfrontation der Familie Tell mit den Behörden kommt. Damit löst Walterli im Streit um einen einzelnen Apfel indirekt den Schweizer Unabhängigkeitskrieg aus (obwohl er eigentlich nur einen Sack Magenbrot will). Die Rolle dieses kleinen Influencers nimmt heute bei der Rechtspartei der SVP Anton Brunner (Rufname «Toni») ein, der SVP-Bundesräte zur Revolution anstiftet.

1431, 30. Mai, im französischen Orléans: Schon viele versuchten sich mit der Ausrede, beeinflussende «Stimmen» gehört zu haben, aus der Affäre zu ziehen. Jeanne d’Arc nützt das nichts, ganz im Gegenteil: ihre Verteidigungsrede «Stimmen haben mir befohlen» führt ohne Umschweife zur öffentlichen Hexen-Verbrennung. Letztmals hat Ignazio Cassis versucht, so zu erklären, warum er erst bei «Pro Tell» eingetreten ist («Ich hörte eine innere Stimme, die mir riet, der Waffenlobby beizutreten») und alsbald wieder austrat («Ich höre viele auswärtige Stimmen»), bevor ihm der Hexenprozess gemacht werden konnte.

1804, 2. Dezember, morgens: fühlt Papst Pius VII. sich unpässlich. Ausgerechnet heute soll er in einem festlichen Event Napoleon zum Kaiser krönen. Pius fürchtet, in seinem geschwächten Zustand nach der Fastenzeit das schwere Schmuckstück nicht hochheben zu können. Darum signalisiert er Bonaparte, der als ausgesprochener Selfmademan gilt, das auch gleich selbst zu machen. Durch diese Selbstkrönung geht Napoleon als Egoist in die Weltgeschichte ein.

1865, 15. April, Washington: Nach einem anstrengenden Bürgerkrieg will Abraham Lincoln endlich mal ausspannen. Ausgerechnet sein schwarzer Haussklave Jumbo, der ihn auch auf die Idee von der Abschaffung der Sklaverei brachte, rät ihm zum Theaterbesuch, wo ein besonders lustiges Stück gegeben wird. Doch der Präsident wird im Theatersessel erschossen, bevor das Stück aus ist, welches darauf auch keine guten Besprechungen mehr erhält. Jumbo nimmt sich vor, dem nächsten Präsidenten keine Vorschläge mehr zu machen, die die Kultur des ganzen Landes beeinflussen könnten.


1888, 23. Dezember, Arles, vermutlich abends: Der einflussreiche Maler Paul Gauguin lässt - unabsichtlich? - ein Magazin über Trends in der Kunstwelt in der Künstler-WG herumliegen, die er sich mit einem niederländischen Maler teilt. Vincent, zu dieser Zeit geistig etwas instabil, da der Verkauf seiner Bilder mal wieder schleppend läuft, versteht den Artikel «Der Kunst ein Ohr leihen» falsch.

1889, September, ein schöner Herbstmorgen: Ösi-Kaiserin Elisabeth, besser bekannt als «Sissi», macht eine Reise nach Genf. Sie hat sich von ihrer Hofdame Irma zu dieser Abwechslung überreden lassen. Tatsächlich denkt Irma dabei auch an sich selbst und freut sich schon auf die Raddampferfahrt auf dem Genfersee. Bevor es dazu kommt, fällt Sissi einem Attentat zum Opfer. Die Karten für den Raddampfer können auch nicht mehr zurückgegeben werden. Weil Sissi nach dem Stich in ihr Herz über Schmerzen in der Brust klagt, ist Irma damit mitverantwortlich für die Prägung der Beleidigung, jemand verhalte sich wehleidig wie eine Sissi.

1916, ein bitterkalter Dezembertag in Russland: Der Berater der Zaren, Rasputin, empfiehlt der Zarenfamilie, Russland nicht zu verlassen, da das Land zu dieser Jahreszeit besonders schön sei, Revolution hin oder her. Damit erschüttert Rasputin erstmals den sogenannten «Trust-Faktor» der Meinungsmacher. Sprachwissenschaftler prägen daraufhin für diese Sorte Mensch den Begriff «Influencer», weil sich dieser von lateinisch influenza ableitet, was so viel wie Darmstörung bedeutet.

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