Todesapp

Alfred Dorfer | veröffentlicht am 30.11.2017

Der November ist die trübste Zeit im Jahr und so verblüfft es nicht, dass der Tod in diesem Monat vermehrt durch die Medienwelt geistert, als kleines Memento sozusagen. Und mit ihm seine wohl einträglichste Form: der Sterbetourismus. Eine Besonderheit dieser Art des Fremdenverkehrs ist, dass die Rückreise jeweils kein entscheidendes Thema ist. Sterben ist ja ein One-Way-Ticket und schon fast ein kommunistisches Relikt, denn das Vermögen spielt da keine Rolle. Reiche sterben nicht besser als Arme. Es ist auch keine Frage von Talent. In der langen Geschichte der Menschheit ist kein einziger Fall bekannt, wo jemand daran gescheitert wäre. Es also nicht geschafft hätte, zu sterben. Der Tod ist aber auch der seltene Fall eines fixen Termins ohne genaues Datum.

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(Nebelspalter)

Aber das alles spielt in der laufenden Debatte eine untergeordnete Rolle. Durch den bekannten Beschluss des deutschen Bundestags, die erwerbsmässige Sterbehilfe zu verbieten, fürchtet man nun eine drastische Zunahme des Sterbetourismus in die Schweiz. «Going to Switzerland» bekommt dadurch eine völlig neue Bedeutung.

Die Schweiz als Endstation einer Reise, quasi als Lebenskopfbahnhof, als Dead End Road sozusagen. Sterbehilfe muss hier natürlich erklärt werden. Es bedeutet nicht, dass ein Arzt die Patienten ins Jenseits befördert. Das gibt es natürlich auch, man nennt es allerdings «Kunstfehler». Sterbehilfe heisst, einen Sterbewilligen bei sei­ner letzten Reise insofern zu unterstützen, indem man Substanzen bereitstellt, aber nicht selbst verabreicht. Passiv also.

Gegen diese Art des Tourismus werden nun Stimmen laut. Gott oder für die Agnostiker: Zufall sei Dank, geht es diesmal ausnahmsweise nicht um die Asylpolitik. Denn der so ins Land Gekommene will sich ja hier nicht niederlassen oder gar das Schweizer Sozialhilfenetz belasten. Er reist zwar ein, aber dann doch schnell wieder aus, wenn auch mit fremder Hilfe.

Es ist auch keine Massenmigration zu erwarten, denn Sterben im Ausland ist dann doch teurer als daheim. Vielleicht liegt darin die Wurzel einer erweiterten, völlig neuen Geschäftsidee? Nämlich Touristen, die nicht nur nicht mehr zurückfahren, sondern auch gar nicht erst kommen, aber dennoch bezahlen.

Da macht der starke Franken erst Sinn und es wäre in virtuellen Zeiten der Dernier Cri. Tourismus als App, man bucht eine Reise, ohne dorthin zu fahren. Keine Horden von grölenden Skandinaviern, welche 500 Jahre protestantische Unterdrückung der Lebenslust im Tessin wegsaufen wollen. Nein, das sollen sie zu Hause machen im dunklen Norden vor einem schönen Prospekt der Schweizer Alpen. Keine reichen amerikanischen Ladies mehr, die uns die Plätze wegnehmen in Zürcher Innenstadtcafés. Keine Russengruppen, die unsere Almhütten verwüsten, sondern in Sibirien bei Schweizer Käse und Wodka vom San Bernardino träumen.

Stell dir vor, es ist Urlaub und keiner geht hin! Für die Schweizer Wirtschaft wäre das profitabel. Zunächst blieben Hotelkapazitäten frei für die wirklich Reisenden. Man könnte also jedes Zimmer zweimal vermieten. Ausserdem verschmutzen die virtuell Reisenden nichts und brauchen auch kein Personal. Das Einzige, was wirklich benötigt wird, ist eine Internetadresse irgendwo, die alles regelt. Vielleicht sogar Steuer schonend, wie es so schön heisst.

Jetzt werden einige einwenden, das wäre eine absurde Idee. Keineswegs. Fragen wir doch unsere Freunde aus der Finanzwirtschaft. Wenn es schon möglich ist, reich zu werden, ohne eine Leistung zu erbringen, also quasi per Mausklick, könnte man doch den Sterbetourismus ebenso vereinfachen. Eben so, dass für die letzte Reise überhaupt gar keine Reise mehr vonnöten ist. Quasi ein Delete per Mail oder per Dropbox. Man stirbt zu Hause und überweist das Geld vorher per E-Banking. Sauberer und ökonomischer gehts nicht, oder?

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