
Von den damaligen Aufbruchsgefühlen ist erstaunlich viel geblieben. Mental sind jedenfalls viele nicht vom Fleck gekommen. Mick Jagger brüllt immer noch «I can’t get no satisfaction» in die Mikrofone. Und man glaubt es ihm.
Ideologisch hingegen hat man eine vollständige Kehrtwendung vollzogen. Wehrten sich damals die Achtundsechziger gegen die rigiden Moralvorstellungen der katholischen Kirche (man denke etwa ans Konkubinatsverbot), so werben heute viele der damaligen Protestierer um Toleranz im Umgang mit dem Islam, der sich nicht zuletzt durch die Art von Sexualfeindlichkeit (oder eine möglicherweise noch schlimmere) auszeichnet, wogegen sie damals Sturm gelaufen sind.
Durchgesetzt hat sich hingegen das infantile «We want the world and we want it now». Allerdings in der Ich-Form. Nicht geblieben ist den meisten Achtundsechzigern ihre Haarpracht, gar vielen ging sie aus. Wer heute noch lange Haare trägt, gehört zu einer Handörgeli-Formation, ist Kondukteur bei der SBB, Mitglied der SVP oder (mit Haargel) im Kader einer Grossbank.
Doch Vorsicht: Die Frage nach dem Erbe der Achtundsechziger impliziert nämlich, dass sich die Mehrheit der Jugend der damaligen Aufbruchsstimmung nahe fühlte.
Meine Erinnerung (als Nach-Achtundsechziger) ist jedoch ganz anders: Diejenigen, die sich für Rockmusik, Drogen, lange Haare und alternative Jugendzentren begeisterten, waren klar eine Minderheit.
Und die, die vorwiegend politisch unterwegs waren und den Gang durch die Institutionen angetreten hatten, waren die Art von Trottel, mit welcher selbige Institutionen in Nullkommanichts fertig wurden. Auch alles andere, von der Rockmusik bis zum Sex und zu den Drogen, wurde vom herrschenden System aufgesogen und zu einer Ware gemacht, die sich verkaufen lässt.
Die Achtundsechziger zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie es bis ins Pensionsalter geschafft haben, nicht erwachsen zu werden. Einige sind sogar ganz die pubertierenden Teenager von damals geblieben und entschuldigen ihre Unreife verharmlosend mit dem «inneren Kind». Selbst wenn sie inzwischen, immer noch «Satisfaction», ganze Grosskonzerne lenken oder Staaten regieren. Nicht nur unbefriedigt, sondern vor allem unbefriedigend. Weshalb Mick Jagger mit seiner Beharrlichkeit ja irgendwie recht hat: Es ist zum Brüllen.