
Das Klima ist vergiftet. Schon länger. Es ist so vergiftet, dass in der schmucken, ländlichen Kleinstadt Salisbury in Südengland unbescholtene Rentner, zusammen mit sie liebevoll visitierenden Angehörigen, einfach von der Parkbank fallen.
So geschehen dem bemitleidenswerten Sergej Skripal und seiner Tochter Yulia. An der schlechten Luft lag die Bewusstlosigkeit der beiden nicht. Das stark wirksame Nervengift Nowitschok raubte den beiden die Sinne. Nun ist es einem normal sterblichen Menschen selten vergönnt, an dem Gift zu schnuppern, welches zu Zeiten des Kalten Krieges in der damaligen Sowjetunion entwickelt wurde. Weil Skripal seinerseits einst russischer Doppelagent war, braucht es nicht viel mehr Kombinationsgabe als die eines sonntäglichen Sofa-Tatort-Kommissars, um darauf zu kommen, es könnte da ein Zusammenhang bestehen. «Njet!», schreit der schon wieder gewählte russische Präsident Wladimir Putin. Alles Lüge! Und man ist versucht, ihm zu glauben.
Giftmorde sind von ihrem Wesen her weiblich. Das beweist die Geschichte. Allen voran soll sich Kleopatra durch den Biss einer Kobra freiwillig ins Jenseits befördert haben, um so der Schmach zu entgehen, als Kriegstrophäe in Rom vorgeführt zu wer-den. Angesichts der qualvollen Art, an Schlangengift zu sterben, scheint dies eher unwahrscheinlich. Zumal die ägyptische Königin recht geübt war im Umgang mit Giften. Eines ihrer Hobbys soll es gewesen sein, selbst gemischte Gift-Cocktails an zum Tode Verurteilten ausprobiert zu haben. Es scheint daher wahrscheinlicher, Kleopatra habe sich mit einem Mix aus Opium und Schierling aus der Geschichte verabschiedet. Schierling, richtig! Das Kraut brachte schon Sokrates um. Der zum Tode Verurteilte trank den Schierlingsbecher. Was die These, dass Giftmorde weiblich seien, noch nicht stützt. Da gibt es bessere Beispiele von kaltblütig mordenden Frauen, die aber nie so schön waren wie Kleopatra.
Allen voran die Berliner Geheimrätin Sophie Ursinus. Sie entledigte sich mittels Gift erst ihres Geliebten, danach ihres Ehemannes, einer reichen Erbtante und eines Dieners. Sie hantierte vornehmlich mit dem geruch- und geschmacklosen Arsen, welches man, bis zu ihrem Tod im Jahr 1836, nicht nachweisen konnte. In etwa
derselben Zeit trieb eine der durchtriebensten Giftmörderinnen ihr Unwesen. Gesche Gottfried brachte 15 Menschen unter die Erde. Aus Habgier und Grausamkeit vergiftete sie unter anderen diverse Ehemänner, ihre drei Kinder, ihren Bruder und ihren Arbeitgeber. Dabei liess sie es langsam angehen und vergiftete ihre Opfer nach und nach. Gleichzeitig pflegte sie diese liebevoll. Trotz dieses harten Schicksals, dass in ihrem Umfeld ständig Leute starben wie die Fliegen, erarbeitete sich Gesche Gottfried so ironischerweise den Ruf eines Engels. Dies wurde später mit ihrer Enthauptung korrigiert.
Dass Morde mit Gift nicht ungefährlich sind, zeigt ein jüngeres Beispiel der Kriminalistik. In den 1950er-Jahren entfernte Christa Lehmann ihren verhassten Ehemann und den Schwiegervater mit dem Pflanzenschutzmittel E605 aus dieser Welt. Dummerweise starb auch ihre beste Freundin anstatt deren Mutter, dem geplanten Opfer, an einer vergifteten Cognac-Praline. Davor hatten sie schon im alten Rom Angst, weshalb sie den Beruf des Vorkosters erfanden. Wovon sich Kaiser Claudius besser auch einen geleistet hätte. Ohne ermöglichte er seiner Frau Agrippina, ihren Sohn Nero zum Kaiser zu machen. Claudius starb an einem Gericht mit Knollenblätterpilzen. Fast so wirksam wie jenes «Aqua Tofana», wovon Wolfgang Amadeus Mozart glaubte, es vergifte ihn. Soll von einer Frau erfunden worden sein, einer Sizilianerin mit dem Namen Toffa. Diese machte aus dem Wasser ein riesiges Geschäft und verschickte Fläschchen nach ganz Europa. Getarnt mit dem Bild des heiligen Nikolaus von Bari.
Irgendwie passt es vor diesem Hintergrund überhaupt nicht zu Wladimir Putin, Menschen mittels Gift ins Jenseits zu befördern, weil Giftmorde sehr weiblich sind. Der omnipotente Staatsführer würde seine Feinde viel eher hoch zu Ross, mit nacktem Oberkörper, zu Tode trampeln, als knallharter Eishockey-Crack an die Bande nageln oder sie als Köder beim Fischen an den Haken hängen. Das könnte man meinen. Doch vielleicht entdeckt der nie lächelnde Präsident gerade seine weibliche Seite. Zudem haben Giftmorde sowie Anschläge im Osten eine schöne Tradition in der jüngeren Vergangenheit und werden dazu jedem Agentenfilm gerecht. Mitte des vergangenen Jahrhunderts starben ein ukrainischer Dissident und einer seiner Landsleute nach einem Blausäure-Angriff eines KGB-Agenten mit einer speziell konstruierten Giftgaspistole. Er handelte im Auftrag der Regierung. In London (1978) wurde dem bulgarischen Dissidenten Markow an einer Bushaltestelle eine winzige Giftkugel in die Wade injiziert. Abgeschossen aus einem Regenschirm.
Der ukrainische Politiker Juschtschenko bekam 2004 Gift in seiner Suppe serviert. Zwei Jahre später überlebte der ehemalige russische Agent Litwinenko einen Giftanschlag mit Polonium nicht, welches ihm in den Tee gekippt worden war. Der Bedauernswerte machte bis zu seiner Stunde des Todes Putin für den Anschlag verantwortlich. Doch wer traut ihm so etwas zu? Irgendwie wirkt der ehemalige KGB-Agent mindestens so vertrauenswürdig wie die Schwestern Abby sowie Martha Brewster in Joseph Kesselrings Theaterstück «Arsen und Spitzenhäubchen».