
Am 2. März hat die Zürcher Staatsanwaltschaft den ehemaligen Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz in Untersuchungshaft gesetzt. Der ‹Nebelspalter› bringt erstmals exklusive Auszüge aus seinem Knast-Tagebuch. Ach ja: Es gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.
Freitag
Ich bin fassungslos und schockiert. Die Ausstattung der Untersuchungszelle ist enorm spartanisch. Beschwere mich bei der Haftaufsicht, dies sei eines Ex-CEO der drittgrössten Schweizer Bank nicht würdig. Erhalte daraufhin eine grössere Liegebank, die nach Auskunft des Wärters exakt die drittgrösste der Anstalt ist.
Samstag
Habe in der Nacht kaum geschlafen, weil genau vor meinem Fenster eine Strassenlaterne auf die Pritsche strahlt. Der Haftrichter hatte veranlasst, dass in meiner Zelle die Jalousien abmontiert werden – wegen Verdunkelungsgefahr.
Sonntag
Habe erstmals Kontakt zu anderen Häftlingen. Juwelen-Iurie bringt mir den Brauch bei, die Tage in Haft mit eingeritzten Strichen an der Wand zu zählen. Ertrage aber den Anblick derart kleiner Zahlen nicht und rechne ab sofort in Haftminuten ab.
Montag
Hadere mit dem Schicksal. Habe die mir zur Last gelegten Handlungen doch damals extra von einem Freund juristisch abklären lassen und ihm als Dankschön einen netten Posten gegeben. Morgen soll ich eine Stunde freien Internetzugang erhalten. Muss unbedingt den Begriff «Gefälligkeitsgutachten» googeln.
Dienstag
Mein Anwalt teilt mir mit, dass sich die ‹Weltwoche› als Ausnahme in der Medienlandschaft auf meine Seite geschlagen hat und jede Form von Vorverurteilung entschieden brandmarkt. Wenn ich wieder draussen bin, muss ich unbedingt nachlesen, was genau die ‹Weltwoche› damals bei Ex-Nationalbankdirektor Philipp Hildebrand gebrandmarkt hat.
Mittwoch
Endlich ein Lichtblick: Meine Frau konnte mir eine Bündner Nusstorte in die Zelle schicken. Allerdings nicht die beste Wahl, um eine Feile einzubacken – musste sie stundenlang von der klebrigen Nussmasse befreien.
Donnerstag
Die Enttäuschung ist riesig. Die Gitterstäbe vor meinem Fenster sind dick wie Oberarme – selbst für einen Macher wie mich ist das eindeutig too big to feil.
Freitag
Endlich ein guter Tag; finde langsam zu meiner alten Form zurück. Habe heute dem Gefängnisdirektor vorgeschlagen, sich an einem spezialisierten Vermittler für Gefängnispersonal zu beteiligen, den man in ein paar Jahren mit Gewinn an die Justizdirektion verkaufen könnte. Er wirkte interessiert.
Samstag
Seit über einer Woche sitze ich hier schon ein. So lange war ich definitiv noch nie in einer Institution, in der mein Vater zuvor nicht im Verwaltungsrat war.
Sonntag
Um nicht aus der Übung zu kommen, habe ich etwas mit Zahlen gerechnet. Nun bin ich extrem frustriert: Die Anzahl meiner bisherigen Haftminuten ist bereits höher als mein durchschnittlicher Jahresbonus. Wäre diese Welt gerecht, würde es in meinem Fall um mindestens 750 Millionen gehen. Sarkozy war bei 50 Millionen schon nach 48 Stunden wieder auf freiem Fuss.
Montag
Freunde mich immer mehr mit Juwelen-Iurie an und entdecke Gemeinsamkeiten. Ich stolperte über die eigene Raiffeisen, er auf der Flucht über sein eigenes Brecheisen.
Dienstag
Der Gefängnisdirektor kommt mit einer guten und einer schlechten Nachricht zu mir. Er sei meinem Rat gefolgt und habe die vorgeschlagene Beteiligung erworben. Aber leider habe er eine Verlängerung meiner U-Haft in die Wege geleitet, da ich für ihn nun systemrelevant geworden bin.