Hallo Echo! – Hallo Dummheit!

Ralph Weibel | veröffentlicht am 04.05.2018

«Heil Hitler!» Erschrecken Sie, wenn Sie diesen Ausdruck lesen? Hoffentlich! Obwohl – irgendwie wäre es langsam besser, wenn der pawlowsche Hund brav sitzen bleiben würde. Das macht er aber nicht.

Hallo Echo! – Hallo Dummheit!
Marina Lutz | (Nebelspalter)

Genauso wenig sind vor Kurzem verschiedene Musiker auf ihren Echo-Preisen sitzen geblieben als Reaktion auf die Auszeichnung des Rapp-Duos Kollegah und Farid Bang. Reihenweise gaben Musiker ihre Preise aus Protest zurück. Ein starkes Zeichen, doch etwas doppelbödig. Sie vergessen dabei, dass die Trophäe nicht für guten Geschmack vergeben wird. Es geht nicht um Kunst, sondern um den schnöden Mammon. Willkommen im Kapitalismus! Immerhin haben Textpassagen wie «ich f**k sie, bis ihr Steissbein bricht» oder «Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen» die beiden Rapper zu Millionären gemacht.

Erlauben Sie an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung. Der Schreibende überlegte sich lange, ob er diesen primitiven Mist zitieren sollte. Aber ohne geht es auch nicht, weil es keine passende Umschreibung dafür gibt, was diese Erbsenhirne von sich geben. Dabei wollen sie lediglich Aufmerksamkeit generieren. Und das ist ihnen gelungen. Mir vielleicht auch, mit dem Anfang dieses Textes «Heil Hitler!». Darum geht es letztlich immer, im Dschungel der asozialen Medien, den Blick auf sich zu ziehen.

Zerrissene Hosen
Das war früher einfacher. Wir erinnern uns mit verklärtem Blick an die 68er-Bewegung, als schon die Folgen der Friseur-Abstinenz reichten, aufzufallen. Oder vielleicht eher aufzuschreien, für oder gegen was auch immer. Leider muss man heute viel tiefer greifen. Da reichen zerrissene Hosen nicht mehr. Aus denen hat die Modeindustrie längst einen Trend gemacht und schrille Gitarrenriffs sind salonfähig. Was bleibt heute anderes, als sich des Menschenverachtendsten der jüngeren Geschichte anzunehmen, der Zeit von Nationalsozialismus und Drittem Reich?

Dabei stehen die beiden Echo-Gewinner bei Weitem nicht alleine da. Ohne jemandem bösen Willen zu unterstellen, vielleicht geht es ja wirklich darum, die Vergangenheit zu verarbeiten, wenn sich Kunst und Kultur des dunklen Fleckens in der Geschichte annehmen. Aber das geht nicht immer gut. Wie der Fall vom Theater Konstanz zeigt. Dieses versprach all jenen, die mit einer Hakenkreuzarmbinde zur Premiere der Farce «Mein Kampf» kommen würden, sinnigerweise am Tage von Hitlers Geburtstag am 20. April, eine Freikarte. Gleichzeitig sollten andere Zuschauer, aus Solidarität mit den Opfern im Saal, einen Davidstern tragen. Der Erfolg der Ankündigung war übrigens überwältigend, irritierte aber Regisseur Serdar Somuncu zugleich. Über 50 Anfragen nach Freikarten gingen in kürzester Zeit ein. Bei der Premiere soll dann übrigens keine einzige Armbinde zu sehen gewesen sein. Das gibt Hoffnung. Was erreicht wurde, ist eine unvergleichliche Aufmerksamkeit für ein durchschnittliches Theaterhaus in der Provinz, die bei Schweizer Einkaufstouristen bekannter ist als bei Kulturbeflissenen.

Nazi-Keule
Irgendwie können wir es drehen und wenden, wie wir wollen, wir kommen nicht aus dem braunen Sumpf heraus. Das ist schon sehr lang so und zeigt sich in vielen Chat-Verläufen im Internet. Das erkannte 1990 schon Mike Godwin. So steigt, nach seiner Theorie (Godwin’s Law), die Wahrscheinlichkeit im Verlauf längerer Diskussionen, dass jemand einen Nazi-Vergleich einbringt. Passierte unlängst Christoph Blocher, als er an der SVP-Delegiertenversammlung gegen Bundesrat Ignazio Cassis und dessen Haltung zu den Rahmenabkommen mit der EU die Nazi-Keule auspackte: «Hätten wir 1939 einen solchen Bundesrat gehabt, hätte sich die Schweiz rasch dem Dritten Reich angeschlossen.» Fehlt ein Argument, wird allzu oft die Schocktherapie gewählt. Dieses Instruments bediente sich auch Nationalrat Jonas Fricker (Grüne/AG) in der vergangenen Herbstsession, als er den unbestritten unsäglichen Transport von Mastschweinen kritisierte: «Die Menschen, die dort deportiert wurden, die hatten eine kleine Chance, zu überleben. Die Schweine, die fahren in den sicheren Tod.» Immerhin entschuldigte er sich noch während der Debatte in «aller Form». Politiker werden immer wieder mit Hitler verglichen. Eine kleine Auswahl: SVP-Nationalrat Lukas Reimann von Rapper Ensy, Merkel von Erdogan, Putin von Julia Timoschenko, Österreichs Kurz von … ach, hören wir auf damit!

Zwangsläufig muss die Frage gestellt werden, wie wir unsere Gesellschaft entnazifizieren können. Sicher nicht, wenn wir nicht darüber reden. Aber wir sollten es an der Stelle tun, wo es angebracht ist. Dann, wenn es wirklich um steigenden Rechtspopulismus und Naziparolen grölende Xenophobe geht. Aber auch da sollten wir den Anstand bewahren. Ich hätte Ihnen da einen Tipp. Anstelle von künstlicher Aufregung, auf die eine oder andere Seite, die wir in die Welt twittern oder sonst wie verbreiten, sollten wir überlegen, über was und wie wir miteinander sprechen. Axel Hacke hat dazu ein lesenswertes Buch geschrieben: «Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen».

Täte den Echo-Gewinnern Kollegah und Farid Bang auch gut, wenn sie nicht gerade die harten Jungs raushängen lassen müssen. Denn auch sie wollen nur geliebt werden, können es aber einfach nicht so zeigen. Auch die beiden weinen, wenn sie Liebeskummer haben, oder die Katze stirbt.

Artikel erschienen in der Ausgabe

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