Diplomatenenten

Alfred Dorfer | veröffentlicht am 27.05.2018

Die Zeiten sind unübersichtlich geworden. Früher war alles viel einfacher, man lebte diesseits des Eisernen Vorhangs in der Komfortzone. Jenseits war das Dunkle, das Böse. Irgendwann war dann das Böse nicht mehr ganz so böse und man selber war sich nicht zu gut, sich mit ihm einzulassen.

Jenseits vom Guten und Bösen gab es noch das Neutrale. Die Schweiz und Österreich hingen sich dieses Mäntelchen um, das weitere Möglichkeiten schuf. Österreich war meisterlich in dieser Doppelbödigkeit des moralischen Parketts. Man denke nur an die geheimen und im Grunde höchst verbotenen, sehr guten Geschäfte mit der DDR im Kalten Krieg.

Die Einfädlerin solcher, sagen wir einmal, interessanten Geschäftsverbindungen war immer die Diplomatie. Dieses Wort leitet sich von «urkundlich» ab und ist somit über alle Zweifel erhaben. Das Adjektiv diplomatisch allerdings lässt die Klarheit der Urkunde etwas verschwimmen und verschiebt sie in Richtung Flexibilität. Diplomaten sind also meist Menschen, denen Direktheit und Ehrlichkeit im Berufsleben nicht weiterhilft. Diplomatie ist aber ein sauberes Geschäft, das muss gesagt werden, ihre Hände waschen sich stets in Unschuld. Schuld hat die Politik und der Böse ist immer der Andere, offiziell.

Diese Schmiere hat erstaunliche Beständigkeit. Daher genügen vergleichsweise marginale Anlässe, geschickt hochgekocht, um das alte Lied wieder anzustimmen. Diesen verstimmten Gassenhauer von Gut und Böse, von Solidarität gegen das Böse und von Bestrafung des Bösen. Daran muss man halt glauben. Genauso wie man an die verzweifelten Rechtfertigungsversuche der RUAG glauben muss, was ihre Verbindung zu Russland (wir erinnern uns: sehr böse) betrifft.

Das ähnelt der jüngsten Situation in Deutschland, dem Bollwerk der Anständigkeit in Europa. Auf hochoffizieller politischer Ebene wird ja der Türkei immer mangelnde Europareife, Demokratieabbau und ein klarer Hang zu unmenschlichen Zuständen vorgeworfen. Gleichzeitig wurde publik, dass eben diese Unmenschlichkeit Unterstützung fand durch für Deutschland lukrative Waffenlieferungen. Man könnte das nun vielleicht als erbärmliche Heuchelei bezeichnen. Wir wollen aber diplomatisch bleiben und nennen es einfach «Politik».

Die hohe Kunst der flexiblen Zweigleisigkeit ist keinesfalls zu verdammen. Wo sie doch offenbar tief in der Natur des Menschen liegt. So mussten die Vertreter der Kirche etwa in der Fastenzeit dem Fleischgenuss abhold sein. Fisch war erlaubt, machte aber nicht wirklich satt in der kalten Jahreszeit. Dann beobachteten findige Gottesmänner Ge­flügel, wie die Enten, das sich zuweilen auf dem Wasser niederliess. Und ehrlich: Ob auf oder im Wasser macht nicht wirklich einen gravierenden Unterschied. So wurden Enten zu Fischen, konnten daher in der Fastenzeit verzehrt werden. Ohne Sünde oder Reue und der Hunger war gestillt.

Vielleicht ist das der Kern der Sache. Egal ob hohe Politik, ob Waffen oder Neutralität. Es gibt Fische im und auf dem Wasser, auch wenn sie aussehen wie Enten. Je nachdem, was gerade opportun scheint, ist es einmal das Eine und dann wieder das Andere. In Wirklichkeit existieren immer beide gleichzeitig. Jetzt werden die Moralisten sagen: Eine Ente ist kein Fisch. Das ist vielleicht biologisch richtig, politisch aber falsch.

Man kann sich natürlich an die Buchstaben halten, doch dies ist weder sehr unterhaltsam noch sehr erfolgreich. Oder man legt die Buchstaben poetisch aus und macht Enten zu Fischen. Die erste Spezies ist damals fast ausgestorben. Die zweite hat, ganz nach Darwin, überlebt. Und findet sich, wo die Zeiten so unübersichtlich geworden sind, bestens zurecht.

Das trifft übrigens auf uns alle zu. Und nicht nur auf die grossen, auch auf uns kleine Fische, äh – Enten.

Artikel erschienen in der Ausgabe

loader