Sind Sie klassisch oder sozial?

Annette Salzmann | veröffentlicht am 01.06.2018

Sozial ist heute, wer auf Social Media kommuniziert und dafür mit niemandem real redet. Wenigstens ist für die Statistiker das Gegenstück nicht asozial, sondern klassisch, was schon wieder Sympathien weckt.

Sind Sie klassisch oder sozial?
Andy Harper | (Nebelspalter)

Reden Sie noch mit Ihrem Hund auf dem Spaziergang? Also so richtig, mit Namen sagen, ihn sehen und streicheln? Und schauen Sie noch umher, in die Landschaft, auf die Häuser und Menschen? Und hören Sie die Vögel und raten: Taube oder Kuckuck?

Oder sind Sie unterwegs mit einem Kind und reden noch mit ihm? So mit plaudern und singen und herzen und erklären: Das ist eine Taube. Oder sind Sie zumeist wortlos unterwegs, konzentriert, mit Hauptansicht aufs Ohr, dafür verbunden mit der halben Welt? – So weit, so gut, soweit bekannt.

Aber dann kommt dieser Anruf. Sie sind bestürzt. Der junge Mann am Telefon will nicht wissen, ob Sie zu viel für die Versicherung bezahlen, er will bloss etwas Grundsätzliches klären, für die Statistik. Er will wissen: Sind Sie sozial oder klassisch? Sie sind baff. Was für eine Frage! Natürlich sozial! Das waren Sie schon immer, Sie, die alte Pfadfinderin! Und hatten Sie nicht gerade gestern die Nachbarskinder gehütet und letzte Woche den Pflanzen Wasser gegeben, obwohl Ihnen diese gar nicht gehören?

Doch nun kommt da dieser junge Mann und teilt Sie ein, in klassisch, also «nicht sozial»! Sie sind entsetzt. Sozial heisse eben, vernetzt zu sein, also elektronisch, also verbunden mit allen möglichen sogenannten Social Media. Und Sie seien deshalb klassisch, weil Sie offensichtlich bloss das nutzen, was halt gerade da sei. Sie hören, lesen und sehen bloss das Jetzt, also alles in Echtzeit quasi.
 
Sie können es einfach kaum glauben, dass Sie nicht sozial sein sollen. Betupft legen Sie den Hörer auf und beschliessen, noch heute einen Living Salad zu kaufen. So was findet man seit einiger Zeit im Supermarktregal: einen Salat samt Wurzelballen. Selbst Grünzeug kommt heute nicht mehr klassisch daher, sondern ist über Tausende Wurzelfäden immer schön vernetzt, verbunden und sozial. Vom Gemüsebeet bis in den Komposthaufen. Soll doch der Kopfsalat die nächste Telefonumfrage beantworten, zum Kuckuck!

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