Vetterliwirtschaft

Ralph Weibel | veröffentlicht am 01.06.2018

Auf den Pausenplätzen der Schweizer Schulen geht die Angst um. Die Angst davor, ein «Whistleblower», könnte das Panini-Kartell aufdecken, so wie das Bündner Baukartell.

Vetterliwirtschaft
Marina Lutz | (Nebelspalter)

Wie immer vor grossen fussballerischen Ereignissen bilden sich Kindergruppen landauf, landab. Ganz im Stil des Unterengadiner Baukartells treffen die Lucas, Noahs und Liams – manchmal ist auch eine Emma dabei – Absprachen, um den Wert ihrer Ware hoch zu halten. Beim derzeitigen Kurs wird ein Schweizer wie Shaqiri, Embolo oder Lichtsteiner für mindestens drei Südkoreaner, fünf Ägypter oder zehn Iraner gehandelt. Stars wie Ronaldo, Messi oder Neymar gibt es nicht ohne den Aufpreis von einem glutamatfreien Znüni, einem Eintritt in die Badi mit Glace oder Sexting mit der grossen Schwester. Im Fall von Emma mit dem grossen Bruder.

Gottverlassen
Dass ihr Kartell, welches sie beim gemeinsamen Orangensaft am Rande eines Kindergeburtstages gebildet haben, in sich zusammenfallen könnte, ist den Kleinen durchaus bewusst. Im Lebenskundeunterricht haben sie vom tiefen Fall des Adam Quadroni gehört. Nachdem er die zigmillionenschwere, grösste Mauschelei unter Baufirmen in der Schweiz hatte auffliegen lassen, wurde er zur Persona non grata in Ramosch und dem gesamten Unterengadin, und das ist ohnehin schon gottverlassen. Abgesehen von einer überdurchschnittlichen Murmeltierpopulation. Die Kinder malen sich in den schlimmsten Träumen aus, was passieren könnte, wenn sie jemand aus ihren eigenen Reihen bei der Schulleitung verpfeift.

Oder wenn das Kartell der deutschen Masseneinwanderer mit Maximilian, Finn und Paul, welches einen Mats Hummels marktzerstörerisch gegen einen Ronaldo tauscht, sie anschwärzen würde. Sie sehen sich schon mittwochs stumpfsinnig einen Nachmittag lang mit dem Wischmopp endlose Schulhausflure entlangscheuern.

Dabei folgen die Kinder nur einem uralten, sehr schweizerischen Instinkt. Absprachen zum Schutz der eigenen Produktion und zur Stützung des Marktwertes werden den kleinen Eidgenossen und -genossinnen sozusagen mit der Muttermilch eingetrichtert, oder genauer gesagt mit der Kuhmilch. Die Milchwirtschaft ist seit jeher ein Paradebeispiel für jeden Kartellliebhaber. Ihr widmete die, 1927 vom Bund ins Leben gerufene, Preisbildungskommission, die heisst heute Stefan Meierhans, beziehungsweise Preisüberwacher, eine ihrer ersten Untersuchungen. Typisch schweizerisch sind wir dabei immer sehr kompromissbereit. Anders gesagt, findet sich immer ein Grund, dass doch sein darf, was eigentlich nicht sein sollte, um den Markt zu schützen oder stützen, «solange ein möglicher Wettbewerb garantiert ist», wie es verklausuliert heisst. Angefangen hat das Ganze schon viel früher. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1874) ist in der Schweiz die liberale Handlungs- und Gewerbefreiheit, und damit verbunden gewisse Absprachen, garantiert. Der entsprechende Artikel kam in die Bundesverfassung, nachdem zehn Jahre zuvor, beim ersten Rechtseingriff in ein Kartell, das Zürcher Zündholzkartell noch aufgelöst worden war.

Überlebenswichtig
Von da an drehte der Wind. Nicht zuletzt deshalb siedelten sich viele internationale Unternehmen in unserem Land an. Über die Grenzen hinaus war die Schweiz für ihre Kartellfreundlichkeit bei Behörden, Machtträgern und dem Volk bekannt. Und deshalb tun wir uns noch heute schwer, daran etwas zu ändern. Das 1996 total revidierte Kartellgesetz erlaubt weiterhin, etwas eingeschränkt, Absprachen. Dies obschon nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion planwirtschaftliche Markteingriffe stark unter Druck kamen. So gesehen hat sich die Schweiz ein Stück Sozialismus bewahrt. Den wir uns gerne etwas kosten lassen. Vielleicht erklärt das die doch eher bescheidene Busse von 7,5 Millionen Franken für die Mauschel-Baufirmen im Unterengadin, die doch immerhin rund 100 Millionen zu viel abkassiert haben, bezahlt von den Gemeinden sowie den Kantonen. Also vom Steuerzahler. Aber so richtig böse können wir den Kartelltraditionalisten nicht sein. Immerhin musste Roland Conrad, mutmasslich einer der Drahtzieher im Rekord-Kartell, lediglich aus dem Vorstand des kantonalen Verbandes der Baumeister zurücktreten. Einsichtig ist er trotzdem nicht. Im ‹Blick› lässt er sich zitieren: «Wir mussten es tun, sonst hätten wir nicht überlebt.»

Unheilbar
Damit so was wie im Unterengadin nicht mehr passiert, sollten wir vielleicht früher damit anfangen, Kartelle zu bekämpfen. Dies wäre dann
eine Aufgabe für die Wettbewerbskommission (Weko). Und weshalb sollte diese nicht auf den Pausenhöfen unserer Schulen anfangen. Vielleicht könnten das sogar die Sozialdetektive in Personalunion machen. Man stelle sich vor, wie so einer mit aufgeklebtem Schnauz, beigem Mantel und Feldstecher sich zu Noah, Liam und Emma stellt, in der Hand einen Stapel Panini-Bildchen. Über den Zaun beobachtet er, ob der Hexenschuss, den sich Gianfranco als unterbezahlter Hilfsarbeiter bei einer der BBB (Bündner-Betrüger-Baufirmen) eingehandelt hat, wirklich unheilbar ist. Gleichzeitig deckt er das Panini-Kartell auf und drückt jedem der Kinder einen Wischmopp in die Hand, für die kommenden Mittwochnachmittage.

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