
Die Revolution frisst ihre Kinder. Oder anders ausgedrückt, wäre die Schweiz vor gut 100 Jahren bei der Geburt Russlands nicht Pate gestanden, stünden die drei verschwiegensten Appenzeller nicht im Fokus von Wladimir Putins Geheimdienst. Die Spionage-Affäre um das Labor in Spiez und die Anti-Doping-Agentur in Lausanne ist nur die Spitze des Eisberges, wie Recherchen des ‹Nebelspalter› zeigen. Der Russe ist nicht nur da, wo wir ihn nicht haben wollen, er ist überall.
Als die Schweiz es ermöglichte, Russland zu gründen, hat sie dies noch nicht einmal bemerkt. Erst zwei Jahre nach der heimlichen Emigration eines gewissen Wladimir Uljanow, wie Lenin mit bürgerlichem Namen hiess, untersuchte das Aussendepartement, wie die Reise überhaupt hatte stattfinden können. In dieser Zeit brach Lenin längst eine Revolution vom Zaun und Russland wurde aus der Taufe gehoben. Hätte verhindert werden können, wenn die Schweiz damals nicht einfach weggeschaut hätte. Seis drum, das Rad der Geschichte lässt sich nun mal nicht zurückdrehen, es ist, wie es ist.
Augenmerk auf die Schweiz
Die beiden Länder verbindet seither eine innige Liebe. Dazu gehört auch Eifersucht, wie in jeder richtigen Beziehung. Während Lenin in Jekaterinburg damit beschäftigt war, auf der Familie Romanow herumzutrampeln, wurden in der Schweiz revolutionäre Erfindungen gemacht. Beispielsweise die Alufolie (1919), welche der schon lange davor erfundenen Toblerone (1908) erst die legendäre Verpackung ermöglichte, die sich bis heute gehalten hat. Vieles deutet darauf hin, dass Lenin höchstpersönlich seinen Geheimdienst darauf trimmte, ein besonderes Augenmerk auf die innovative Schweiz zu legen. Seit hundert Jahren stehen wir deshalb, in schöner Tradition, im Fokus der Russen. Was uns wiederum, in fast naiver Manier, überhaupt nicht bewusst ist, oder besser war. Bis zu den jüngsten Enthüllungen rund um die Anti-Doping-Agentur in Lausanne und das Spiezer Labor, welches im Gift-Anschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter in England ermittelt.
Ein Schelm, wer Böses denkt
Weil die Schweizer Regierung nicht wieder die Hälfte verpassen will wie damals, als Lenin unbemerkt das Land verliess, zitierte sie in diesem Jahr den russischen Botschafter Sergei Garmonin schon dreimal vor das eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Nicht zuletzt, weil der Bundesrat im Frühling in seinem verklausulierten Bericht zur Bedrohungslage feststellte, aus einem Land wäre ein Viertel des diplomatischen Personals als Spione tätig. Wie der ‹Tagi› herausfand, soll es sich dabei um Russland handeln. Was Botschafter Garmonin natürlich entschieden abstreitet. Ein Zufall soll es auch sein, dass die beiden hauptverdächtigen Drahtzieher im Giftanschlag Skripal des Öfteren in Genf weilten. Ein Schelm, wer Böses denkt. Immerhin konnten die beiden sehr glaubhaft erklären, ihr Aufenthalt in England hätte lediglich dem Besuch der berühmten Kathedrale von Salisbury gegolten.
Wodka gut für Kasatschok!
Dem besorgten Bürger stellt sich die Frage, wie viele russische Abgesandte sich bei uns tummeln. Nun, offiziell akkreditiert sind 83, plus Anhang und sonstiges Personal. Das gibt unter dem Strich einige Spione. Aber auf wen haben sie es abgesehen? Laut unserer Recherchen, wurden in den vergangenen Jahren typische Schweizer Produkte Ziel von nachrichtendienstlichen Angriffen. So sollen die drei bekannten Appenzeller, die ständig in Tracht auf einer Bank sitzen und als Einzige das Rezept der geheimen Kräutersulz kennen, in den vergangenen Wochen verschiedentlich zum Wodkasaufen eingeladen worden sein. Aufgetreten sind die Verführer und Verführerinnen in den verschiedensten Verkleidungen, als rotbesockter Kletterer, leggingsgeformte Mountainbikerin, Hilfskoch vom Säntis, Nacktwanderer oder eine Heidi-Doppelgängerin mit Schnauz. Selbst als Bär oder Wolf verkleidet setzten sie sich zu den Geheimnisträgern. Verraten wurden die mutmasslichen Spione erst als sie mit ihrer kalaschnikow artigen Russen-Bass-Stimme sagten: «Wodka gut für Kasatschok!»
Sparschäler Rex
Weniger erfolgreich als vom Appenzeller Käse konnten in den vergangenen Jahren andere Angriffe auf Schweizer Produkte der russischen – oder zwischenzeitlich sowjetischen – Spionage abgewehrt werden. So soll es 1947, kurz nach dessen Erfindung, bereits einen russischen Nachbau des berühmten Sparschälers Rex, mit der quer liegenden, beweglichen Klinge, gegeben haben. Stalin hielt das Gerät damals allerdings für einen Rasierapparat und als solchen für untauglich. Deshalb ging er mit seiner seehundartigen Oberlippenbehaarung durchs Leben. Gerüchten zufolge wurden verschiedene Giftattentate auf politische Gegner, allen voran auf die Suppe des ukrainischen Politiker Juscht-schenko, aus einem gelben Aromat-Streuer verübt. Spione hatten die Idee in einem Bahnhofsbuffet beim Mittagessen. Zuvor hatten sie vier Stunden eine Uhr auf dem Perron observiert und versuchten das Geheimnis zu lüften, weshalb es den Sekundenstopp vor dem Minutensprung gibt. Zwei Spezialagenten sollen sich noch heute um dieses Problem kümmern. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihnen nächstens ein Wodka beim Umsteigen angeboten wird. Lehnen Sie ab und verraten Sie nichts!