Die Medizin bringt uns um

Ralph Weibel | veröffentlicht am 02.11.2018

Glücklicherweise ist die Welt krank. Zumindest für die Schweiz. Ein erheblicher Teil unseres Reichtums basiert auf dem Erfolg der Pharmaindustrie. Diese wiederum verdanken wir Philippus Theophrastus Aureolus Bombast von Hohenheim. Was selbst schwer nach einer unheilbaren Krankheit tönt, ist der Geburtsname von Paracelsus, der am 10. November diesen Jahres 525 Jahre alt würde, wenn er nicht an einer Quecksilbervergiftung gestorben wäre.

Die Medizin bringt uns um
Marina Lutz | (Nebelspalter)

Wenn Paracelsus sehen könnte, was aus der Welt in den vergangenen 500 Jahren geworden ist, würde er sich wohl ein Schlückchen Laudanum genehmigen. Und dann hätten Sie Ihren Einwand von eben, es sei blöd zu sagen, Paracelsus wäre heute 525 Jahre alt, herunterschlucken müssen. Der spätmittelalterliche Mediziner bezeichnete seine Tinktur auch als «Stein der Unsterblichkeit». Laudanum machte damals richtig Freude, alleine wegen der Nebenwirkungen. Es bestand zum grössten Teil (fast 90?%) aus Wein und zehn Prozent Opium. Dazu wurden ein paar giftige Tollkirschen gemixt, Bilsenkraut, seines Zeichens ein Rauschmittel, und die gemeine Alraune, die als Zauberpflanze galt. Wenn heute ein cooler Barkeeper einen solchen Drink servieren würde, müsste er wohl mit zwei bis drei Jahren Gefängnis rechnen, mit anschliessender Sicherheitsverwahrung. Dabei ist alles eine Frage der Dosierung, wie uns das bekannteste Zitat von Paracelsus lehrt:

Alle Dinge sind Gift,
und nichts ist ohne Gift.
Allein die Dosis macht,
dass ein Ding kein Gift ist.

Mit Giften hantierte der Mann aus dem Kanton Schwyz auch in seiner kurzen Zeit in Basel, wo er erstmals, entgegen allen Gepflogenheiten, Medizin in deutscher statt lateinischer Sprache lehrte. Seine Kritik an der Ärzte- und Apothekerschaft machte ihn zum Ziel von Schmähschriften und brachte ihm Drohungen gegen Leib und Leben ein, was ihn verständlicherweise dazu veranlasste, Basel den Rücken zu kehren mit der Erkenntnis:

Sei nicht der Diener
eines anderen,
wenn du als eigener Herr
kannst wandern.

Zurück blieb jener Samen, aus dem die heutige Pharmaindustrie gewachsen ist. Natürlich geht es dieser längst nicht mehr um die Gesundung der Menschheit, wie es bei Paracelsus war. Heute geht es in erster Linie um Geld. Um verdammt viel Geld. Die Schweizer Pharmaindustrie macht fast die Hälfte des Schweizer Exportes aus. Dies, obschon nur ein Prozent der Arbeitnehmer in dieser Branche tätig ist. Respekt. Da rechtfertigt sich auch der Posten des bestbezahlten CEOs der Schweiz, Severin Schwab. Gerade erst hat er stolz verkündet, wie sein Arbeitgeber Roche die Verkäufe im laufenden Jahr um sieben Prozent gesteigert hat. Das sichert Arbeitsplätze. Glück gehabt in einer Branche, die schon bei einem Wachstum von schlappen drei Prozent beim Nettoumsatz über 2000 Stellen abbaut, wie Novartis. Was sich übrigens – dem gewohnten Spiel folgend – positiv auf den Aktienkurs auswirkte. Eigentlich schon paradox. Das System geht über Leichen, wobei gerade die Pharmaindustrie versucht, das zu verhindern. Denn wer tot ist, braucht keine Medikamente mehr. Stellt sich die Frage, ob uns die Pharmaindustrie wirklich heilen oder nur am Sterben hindern will, um uns als Konsumenten am Leben zu halten. Kein Wunder, dass es in dieser Branche zu Zitaten kommt wie von Severin Schwan: «Ich glaube grundsätzlich, dass es keine objektive Antwort auf den Wert des Lebens gibt». Diese Maxime überdauert die Jahrhunderte, nicht aber die Worte. Da hatte Paracelsus mehr zu bieten, der vor 500 Jahren zu Erkenntnissen kam, die heute noch gelten:

Der Mensch ist,
was er isst.

Aber wir wollen nicht undankbar sein mit einer Industrie, die uns Reichtum und Wohlstand gebracht hat. Und einigen Sachen, die doch richtig Spass machen. Denken wir nur an Albert Hofmann, wenn wir schon bei den Grossen der Pipetten und Pülverchen sind. Denn auch er gibt uns im November Anlass zu feiern mit einer Erfindung, die Millionen in die Schweiz brachte. Am 16.11.1938 stellte er erstmals Lysergsäurediethylamid her, kurz LSD. Damit experimentierte er wild herum, wie es Paracelsus vor ihm tat. Mit dem Unterschied, dass sich Hofmann in den Dienst der Basler Industrie stellte, was ihm neben zahlreichen geilen LSD-Trips 102 Jahre dauerndes, finanziell sorgenfreies Leben beschied, das erst im vergangenen Frühling erlosch. Aber so traurig soll dieser Text nicht enden.

Bis 20 iss, soviel du kannst,
bis 30 iss, soviel du musst,
über 30 so wenig du kannst.

Aber auch mit diesem Lebensmotto wurde Paracelsus nur 48 Jahre alt.   

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