Sind Sie depriviert oder deprimiert?

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 02.11.2018

Sind Sie depriviert oder deprimiert?
Silvan Wegmann | (Nebelspalter)

Vor einigen Tagen ist das neuste Medien­qualitätsranking vorgestellt worden. Die SRF-Sen­dungen «Echo der Zeit», «Rendez-vous» und «10vor10» belegten die Podest­plätze. Gut so. Jeden­falls für alle, die im Frühling für die Billag gestimmt haben. Auch wenn die Billag ab sofort Serafe heisst – respektive die Firma, die uns neu die Gebührenrechnung schickt. Wir werden trotzdem noch lange  Billag sagen. Genauso, wie wir noch immer ein «Natel» haben, über die «PTT» klagen oder sogar noch «Beromünster» hören. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Usanz schlägt Umdenken.

Übrigens: Dass der ‹Nebelspalter› in besagter Qualitätsstudie gar nicht berücksichtigt wurde, wirft leider einen Schatten auf die Qualität der Studie. Obwohl: Ausser Konkurrenz zu laufen, spricht ja irgendwie auch für sich. Ein anderer Schattenwurf, den das Qualitäts­ranking ans Licht gebracht hat, ist jedoch weitaus besorgniserregender: Der Anteil der «News-Deprivierten» in der Schweiz steigt unaufhaltsam. Millionen von Eidgenossen leben zunehmend fakten­rand­ständig, jeder dritte Einwohner informiert sich nur noch über Gratiszeitungen und Social-Media-Kanäle wie Facebook, Twitter oder Whatsapp. Korrekter ausgedrückt: Jeder Dritte desinformiert sich so. Selbst wenn nicht alles «fake» ist, was der nie versiegende Strom von Empörungs- und Enthüllungs-News durch die Timeline der Nutzer spült: Der ganze mitgeschwemmte Schlick und Schlamm trübt das Weltbild.

Das ist wiederum deprimierend für Menschen, die das «Echo der Zeit» nicht allein für die Schallreflexion des Stunden­schlags ihrer Dorfkirche halten. Wieso? Weil News-Deprivierte nicht nur oft und gerne ihre laute Stimme am virtuellen Stammtisch erheben, sondern an der realen Urne genau gleich viel Stimmengewicht besitzen wie Gutinformierte. Setzt sich der Trend weiter fort, besteht die Wahl zwischen «depriviert» und «deprimiert» ohnhehin nur noch für beschränkte Zeit. Irgendwann wird das letzte «Echo» verklungen sein. Dann folgt auf die Postmoderne gewissermassen wieder die Voraufklärung.

Wissenschaft und Technik können vielleicht Tunnelröhren bauen, doch nur der Glaube versetzt ganze Berge. Den längsten Streckenabschnitt auf dem Weg in die Gegenwart hat der Mensch auf die Kraft seiner Mythen, Sagen und Legenden gebaut: Fiktion schlägt Fakt. Machen wir uns also bereit für den selbst verschuldeten Ausgang der Menschheit aus der Mündigkeit. Ihr erster Schritt: Die vorliegende November-Ausgabe über Sagen und Legenden lesen. Viel Spass!

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