
Sollte die Schweiz je in den Besitz einer Zeitmaschine kommen, müsste eine der ersten Missionen zurück ins Jahr 1848 führen, um die Architekten des modernen Bundesstaates aufzusuchen und ihnen wortlos ein paar aktuelle Zeitungen mit ihren Bundesratswahl-Berichten um die Ohren zu hauen. Nein, nicht bildhaft. Sondern richtig. Denn unser Regierungssystem mag ja wirklich besonders stabil und gut austariert sein, so ohne Präsident und Machtfülle, dafür mit sieben gleichwertigen Magistraten. Aber es ist sterbenslangweilig!
Gut vier Wochen sind es noch hin bis zu den Ersatzwahlen am 5. Dezember, aber schon heute ist der Mist mehr oder weniger geführt. Beim Freisinn ist die Dominanz der Kandidatur Keller-Sutter so gross, dass die Bundesversammlung eigentlich zur stillen Wahl übergehen und im Saal statt Stimmzettel gleich Sektflöten verteilen lassen könnte. Bei den Christdemokraten bleiben nach Ablauf der Meldefrist fünf Namen im Rennen (verteilt auf vier Personen): Amherd, Hegglin, Schneider, Schneiter und Z’graggen. Nicht am Start ist Parteipräsident Gerhard Pfister – er ist sozusagen der Peter Sauber der CVP, der nicht mehr selbst in den Wagen steigt, weil er seinen Rennstall von der Boxengasse aus gut durch die Saison bringen will. Dies, obschon es ihn durchaus jucken würde. Und obwohl er hinter vorgehaltenem «Das haben Sie aber nicht von mir»-Pappschild als potenzieller Ersatzpilot gehandelt wird.
Das Leben bestraft eben nicht nur die, die zu spät kommen, sondern manchmal auch jene, die zu früh sind. Zu früh hat Pfister sich öffentlich darauf festgelegt, Parteipräsident bis in den Wahlherbst 2019 zu bleiben. Zu oft hat er das wiederholt. Irgendwann gab es kein Zurück mehr ohne Gesichtsverlust. Ärgerlich nur, dass im entscheidenden Wahljahr die «doppelte Doris» fehlen wird, das Zugpferd im Bundesrat, das medial den verbliebenen CVP-Sitz erstrahlen liess als wären es zwei. Statt Leuthard selbst zu beerben – auch die Aargauerin wechselte einst vom Parteipräsidium in die Landesregierung – wird Pfister nun mit einem Aushängeschild in der Regierung antreten müssen, das in den Fussstapfen der scheidenden Freiämterin vermutlich kaum sichtbar sein wird. Aber Kopf hoch! Man muss nicht Bundesrat werden, um grössere Brötchen zu backen. Der Parteikollege und ehemalige Fraktionspräsident Urs Schwaller hatte ebenfalls eine mustergültige Politiker-Laufbahn hingelegt, doch ihm blieb der angestrebte Sprung in den Bundesrat 2007 und 2009 versagt. Über das Verpassen der Top Seven in der exekutivpolitischen Ämterparade trösten ihn heute nicht weniger als sieben Verwaltungsratsmandate hinweg, darunter das Post-Präsidium, welches jährlich mit 225?000 Franken entschädigt wird – ein halbes BR-Gehalt zum Bruchteil des magistralen Stresslevels. Apropos Brötchen backen: Wussten Sie, dass Pfister eine alte Berufsbezeichnung für Bäcker ist? Sollte die eingangs erwähnte Zeitmaschine genug Platz bieten, könnte man auch auf das Abwatschen der Verfassungsarchitekten im Jahr 1848 verzichten und dafür die Parteistrategen des Jahres 2018 ins alte Rom ausfliegen, wo man noch wusste, dass man die Bevölkerung mit panem et circenses bei Laune hält: Mit Brot und Spielen. Nicht mit Brosamen und Spielchen.
Wie ist es möglich, dass keine andere Partei die frei werdenden FDP- und CVP-Sitze in- frage stellt und mit eigenen Kandidaten ins Visier nimmt, obwohl diese Konkordanzregierung nach der Logik des Parteiproporzes schon nach den Wahlen 2015 einen grünen und sogar einen grünliberalen Bundesrat haben müsste? Warum kritisieren nicht wenigstens die Medien den Taschenspielertrick deutlicher, mit dem eine Partei ein Jahr vor den Neuwahlen ihre Regierungsbeteiligung absichert, obwohl es sehr danach ausschaut, dass sie im kommenden Oktober erneut Wähleranteile verlieren wird?
Dabei muss der weitere Verlust von Wähleranteilen überhaupt nicht sein. Für eine Partei, die Familienpolitik zur Kernkompetenz erklärt hat, wäre doch jetzt anstelle eines schnöden Zweiertickets eine fortschrittliche Jobsharing-Kandidatur ein genialer Streich, der weltweite Schlagzeilen und schweizweit neue Wähler bringen würde. Ist Pfister an der Bundesratssitzung, steht Viola zu Hause am Herd – ist Gerhard in der Parteizentrale – steht Amherd vor den Chefbeamten des Departements. Das wär immerhin mal eine nette Spielart von «Teile und herrsche». Aber vermutlich muss unsere Zeitmaschine dafür noch ziemlich weit in die Zukunft fliegen.