
Liebe Leserinnen und Leser,
ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen entschuldigen, die mit ihrem ausgeprägten Sprachgefühl und unbestechlichen Realitätssinn bereits beim Anblick der Titelseite Schaden genommen haben. Dort steht «Fehlprognosen» – das ist etwa so sinnvoll wie der weisse Schimmel, die weltweite Globalisierung oder das verlogene Wahlprogramm. Ein doppelt gemoppelter Pleonasmus.
Prognosen sind mit einer derart erdrückenden Wahrscheinlichkeit fehlerhaft, dass es ein Fehler ist, durch einen vorangestellten Wortzusatz zu suggerieren, korrekte Vorhersagen würden der Normalität entsprechen – so wie wir bei Tritten nur äusserst selten die schmerzhafte Variante eines Fehltritts zu gewahren haben.
Es gehört zu den Geheimnissen der Evolutionsgeschichte, warum wir zwar mir reichlich Sinnesorganen ausgestattet worden sind, die es erlauben, unsere räumliche Umgebung visuell, akustisch oder geruchlich zu erfassen, sich aber kein Sensorium entwickelt hat, um auch die zeitliche Dimension über das Hier und Jetzt hinaus erfolgreich zu erkunden.
Wie sehr wir als Mangel erleben, dass unsere Sinnesorgane auf drei räumliche Dimensionen beschränkt sind, zeigt sich besonders zum Jahresende, wenn Millionen Menschen geneigt sind, aus dem Datum ihrer Geburt und zufällig gewählten Sternenkonstellationen, deren Licht teils Millionen von Jahren durchs All gereist ist, Hinweise auf eine kommende Gehaltserhöhung, das weitere Liebesleben oder über die Erfolgsaussicht der geplanten Fastenkur gewinnen zu wollen.
Das Fehlen eines in die Zeitachse sehenden Auges kompensiert der Mensch, indem er zwischen den Ohren einen bis zu 1,5 Kilogramm schweren Neuronenklumpen betreibt, der enorm viel Zeit und Energie darauf verwendet, aus Vergangenem Rückschlüsse auf Künftiges abzuleiten.
So was kann eigentlich nur schiefgehen. Kein normaler Mensch würde einem Navigationssystem vertrauen, das allein aus den Daten des zurückliegenden Streckenabschnitts den Verlauf des verbleibenden Restweges errechnet.
Es hat aber durchaus sein Gutes, dass wir nicht wirklich in die Zukunft sehen können. Gerade wir Humorarbeiter beim ‹Nebelspalter› leben schliesslich davon, Ihnen unerwartete und überraschende Pointen zu servieren. Während Ihr Neuronenklumpen fest damit rechnet, dass dieses Editorial mit einem geistreichen Schlusspunkt endet, hätten Sie bestimmt nicht erwartet, dass es einfach mitten in einem Satz aufh