Die Welt legt sich nieder

Ralph Weibel | veröffentlicht am 01.02.2019

Wir liegen auf dem Sofa und starren gebannt auf unsere Flachbildschirme. Shutdown in Amerika, Brexit auf der Insel, in der Modestadt Paris sind stabilobossgelbe Westen der letzte Schrei und wir warten gebannt auf den nächsten Bachelor. Allen gemeinsam ist diesen epochalen Ereignissen: Sie legen etwas flach, wie die grassierende Grippewelle. Doch Nichtstun hat durchaus auch positive Folgen.

Die Welt legt sich nieder
Hajo de Reijger | (Nebelspalter)

Weil wir uns das trotz Berichterstattung in der Endlosschlaufe nicht so richtig vorstellen können, den erklärenden Teil gleich vorweg. Ein Shutdown in Amerika heisst für die Staatsangestellten, dass sie nicht mehr bezahlt werden fürs Nichtstun. Er ist also genau das Gegenteil von dem, was unseren Staatsangestellten wiederfährt. Einen Shutdown hautnah miterleben können Sie übrigens bei jedem Wochenendeinkauf.

Quengeln und täubeln
Gehen Sie hinter der Mutter mit ihrem Kleinkind her. Oder um politisch korrekt zu sein, dem Vater. Spätestens bei der Auslage mit den süssen Verführungen unserer Konsumgesellschaft, kurz nachdem sie auf die Zielgerade zur Kasse eingebogen sind, wird der Balg anfangen zu quengeln. Die Eltern bleiben hart. Das Wunschkind, das keines ist, sondern eher ein Unfall, mit unerfülltem Wunsch, zündet die nächste Stufe der Eskalation. Es brüllt, wird an der Hand weggezerrt, erfolglos zur Raison gemahnt und legt sich schliesslich, täubelnd und wild um sich schlagend, auf den Boden. Die Nerven liegen blank, die Situation ist verfahren, keine Lösung in Sicht. Das ist ein Shutdown. Wenn Sie jetzt das Kind durch Donald Trump ersetzen, können Sie an jeder Party erklären, was in Amerika abgeht.

Womit wir zurück im Weltgeschehen wären. Ein Shutdown hat durchaus positive Seiten. So blieb in diesem Jahr beispielsweise Davos während des WEF von Trump verschont. Der verhinderte Mauerbauer wäre sicher von den Schneemauern im Prättigau begeistert gewesen und hätte sich bestätigt gefühlt. Scharfsinnig hätte er kombiniert: Mauer gleich keine Mexikaner. Das einzige Mexikanische in Davos ist die Tijuana-Bar und es geht das Gerücht, Trump wäre schon vor einem Jahr mit Mörtel und ein paar Backsteinen angerückt, um den Eingang des Tijuanas zuzumauern.

Wer weiss das schon?
Shutdown sei Dank, kam es nicht so weit. Vielleicht würde aber ein Shot Tequila Trumps Denkblockade lö-sen. Schon August der Starke, König von Polen und Kurfürst von Sachsen, machte im 18. Jahrhundert positive Erfahrungen mit berauschenden Getränken. Er gründete deshalb die «Geheimgesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit». Zumindest für ein paar Jahre funktionierte das ganz gut. Sachsen und Preussen setzten sich zusammen an einen runden Tisch, tranken und die unüberwindbar scheinenden Blockaden wurden kleiner.

Doch diese scheinen in Mode. Was dem Amerikaner der Shutdown ist, ist dem Engländer der Brexit. Den können Sie sich wie Ihre pubertierenden Kinder vorstellen. Die finden ihre Eltern doof, stänkern nur herum und drohen ab dem 14. Lebensjahr damit, auszuziehen. Das lassen sie nur bleiben, weil sie einsehen, dass das Leben ohne Vati und Mutti (Spitzname für Angela Merkel) noch elender ist. Dieses Paradoxon wirkt sich wiederum blockierend auf die Zukunft aus. Beim Brexit zeigt sich das in der Zurückhaltung von Investoren. Wenngleich niemand eine genaue Vorstellung dessen hat, was genau passiert, so hat die renommierte Bertelsmann-Stiftung doch ausgerechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in England bis im Jahr 2030 um drei Prozent sinken könnte. Wobei solche Prognosen sehr schwierig sind. Vielleicht passiert auch nichts, wer weiss das schon? Und darin liegt das Problem. Wenn wir etwas nicht wissen, blockieren wir innerlich und shutdownen.

Schwarmintelligenz
Oder wir machen es wie der Franzose. Aus Protest, gegen was er selber nicht so genau weiss, oder weil die Flatrate-Gebühren seines Handys steigen, zieht sich der Jugendliche – um bei der entwicklungspsychologischen Erklärung zu bleiben – zerrissene Hosen an und lässt sich einen talibanähnlichen Hipsterbart wachsen. Im Fall der Franzosen reicht eine gelbe Warnweste. Damit stellt man sich auf die Champs-Élysées. Wenn die Schwarmintelligenz ganz viele dazu bringt, dasselbe zu tun, entsteht daraus eine Blockade. Rien ne va plus!

Natürlich passieren solche Sachen nur im Ausland. Nicht bei uns, in der Schweiz. Ausser wir weigern uns, das Rahmenabkommen des Flaschenspiels einzuhalten. Da muss auch mal jemand geküsst werden, wenn er oder sie nicht besonders schön ist.

Artikel erschienen in der Ausgabe

loader