Tijane Thiam

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 05.04.2019

Tijane Thiam
Michael Streun | (Nebelspalter)

Neiddebatte! «Neid-de-ba-tte!», brüllte unser Börsenkorrespondent mit hochrotem Kopf durch die Redaktionskonferenz, als gälte es, wie ein Oppositionsführer im britischen Unterhaus ein Brexit-Votum niederzuschreien. Die «Tor des Monats»-Abstimmung für die April-Ausgabe war endgültig aus den Fugen geraten, passend zur Welt, die das Konferenzzimmer hoch über dem Bodensee im zwölften Stock des Nebelspalter-Glashauses umgab.

Lange hatte es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Kinderheiligen Greta Thunberg und ihrem natürlichen Widersacher Roger Köppel ausgesehen. Der Graben zwischen Apokalyptikern und Klimaleugnern verlief auf dem Weg durch die Schweiz quer durch unsere Verlags-Räumlichkeiten. Beide Lager dürsteten danach, ihr persönliches Feindbild in die viel beachtete Rubrik «Tor des Monats» zu hieven. Mit dem Vorschlag, einen unbelehrbaren Boni-Banker ins Rennen zu schicken, hoffte ich einen tragfähigen Konsens anzubieten, der die Reihen schliessen würde, doch ich hatte mich geirrt. «Managerlöhne sind doch so etwas von 2013», schnödete es am runden Tisch. Der Gagschreiber, der halblaut «Bei Tidjane Thiam sehe ich schwarz» kalauerte, wurde umgehend von unserer Rassismusbeauftragten aus der Sitzung geführt und zum Räumen des Arbeitsplatzes begleitet. Ich war einigermassen erstaunt. Dreieinhalb Jahre war der Tidjane Thiam als CEO der Credit Suisse nun im Amt, 60 Millionen Franken hat er in dieser Zeit eingestrichen. Zuletzt gings für Thiam satte 30 Prozent aufwärts. Die Bezüge der Schweizer Topshots steigen, als hätte es nie eine Abzockerinitiative gegeben. Ein paar aktuelle Zahlen vielleicht? Sergio Ermotti (UBS): 14 Millionen. Severin Schwan (Roche): 12,8 Millionen. Vasant Narasimhan (Novartis): 9,9 Millionen.

Ist es falsch, hier diese Millionensummen aufzulisten? Wird damit nur plump die Todsünde Neid getriggert? Aber klar doch. Denn würden diese vier «Abzocker» ihre Bezüge mit uns teilen, bekäme jeder Einwohner der Schweiz gerade mal sechs Franken zwanzig überwiesen. Da ist manch einem gewiss die Faust im Sack fast schon mehr wert. Vergessen wir zudem nicht: Auf den Topkadern lastet eine enorme Verantwortung. Auch eine Krankenschwester oder ein Busfahrer, die oft persönlich das Schicksal zahlreicher Menschen in der Hand halten, verdienen schliesslich um die 5000 Franken. Zwar nicht stündlich, aber immerhin im Monat.

Was Tidjane Thiam so einzigartig macht, ist die Tatsache, dass sein privater Kontostand   das Einzige ist, was nach oben schnellt. Seit seinem Amtsantritt hat die CS 6,3 Milliarden Verlust geschrieben und ihren Aktienkurs halbiert. Dass Konzerne an der Börse dafür belohnt werden, tausende Mitarbeiter auf die Strasse zu stellen, ist eine alte Perfidie des Kapitalismus. Auch das hat Thiam selbstverständlich getan. Wie aber kann ein Bonus in die Höhe schnellen, wenn die Aktionäre selbst seit Jahren in die Röhre gucken? Dann vielleicht, wenn der Verantwortliche für die  CS-Entschädigungspolitik Kai Nargolwala heisst, selbst an 20-Mio-Saläre gewöhnt ist und mit Thiam schon bei dessen früherem Arbeitgeber Prudential befreundet war? Dann vielleicht, wenn Verwaltungsratspräsident Urs Rohner, der allem einen Riegel schieben könnte, seinen Obolus selbst von 4,3 auf 4,7 Millionen aufstocken darf?

Nein, das ist keine Neiddebatte. Es ist eine Gierdebatte. Glück ist kein konstanter Wert.  Glück ist konstanter Vorsprung. Menschen sind dann zufrieden, wenn sie von etwas mehr haben als jene, mit denen sie sich messen. Die erhöhte Lohntransparenz der letzten Jahre hat die Thiams und Ermottis der Welt nur gieriger darauf gemacht, «angemessen» entlöhnt zu werden. Hätte die Natur unsere Alphamännchen doch bloss beim stärkeren Kiefer, der tieferen Stimme oder dem guten alten Schwanzvergleich bleiben lassen. Es würde wenigstens nur um ein paar Zentimeter gehen. Mit allem, was zigfach länger wäre, würde auch der beste Banker bloss ständig auf die Schnauze fallen.

Artikel erschienen in der Ausgabe

loader