
Nach einer viel zu kurzen Woche auf Kreta kehrten meine Freundin Hazel und ich braun gebrannt in die Heimat zurück. Es waren wunderbare Ferien gewesen: Tagsüber schien uns am Strand die griechische Sonne auf den Bauch und wir spielten mit den hohen Wellen der Brandung. Abends assen und tranken wir viel in den romantischen Tavernen. Was wir bei Nacht getan haben, geht Sie eigentlich überhaupt nichts an, aber ich verrate es Ihnen trotzdem: Wir haben uns fast das Hirn aus dem Kopf herausgeschnackselt.
Obwohl ich normalerweise für Souvenirs nicht viel übrighabe, hatte ich mir diesmal doch ein kleines Andenken mitgenommen, einen Flaschenöffner, auf dessen Stiel die Insel Kreta abgebildet war. Dieser Flaschenöffner, so hoffte ich, würde mich von nun an jedes Mal, wenn ich damit ein Bier öffnete – also mehrmals täglich, da ich sehr viel Bier trinke –, an jenen wunderschönen Urlaub erinnern.
Als ich nach unserer Ankunft eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank holte, um mein Kreta-Souvenir einzuweihen, fiel mir auf, dass auf der Rückseite des Stiels in winzig kleinen Buchstaben die Worte «MADE IN CHINA» eingraviert waren, wodurch meine grossartige Laune sich schlagartig in eine miserable verwandelte: Nicht weil ich mich darüber ärgerte, dass mein einziges Andenken an den wunderschönen Urlaub auf Kreta in Wirklichkeit nicht von dort stammte, sondern weil ich dadurch an den grauenhaften China-Urlaub erinnert wurde, den Hazel und ich vor einigen Jahren durchlitten hatten und bei dem uns beispielsweise, ohne unser Wissen, zum Abendessen die Leiche eines Hundes vorgesetzt worden war.
«Das haben wir gleich», sagte ich zu mir selbst und entfernte mithilfe einer kleinen Metallfeile die unerwünschte Inschrift. «Problem gelöst», bemerkte ich zufrieden, räumte die Metallfeile wieder weg, nahm den Bieröffner – und stellte gleich darauf fest, dass das Problem keineswegs gelöst war, weil mich die abgefeilte Stelle unweigerlich an die entfernte Inschrift erinnerte – und damit auch an den grauenhaften China-Urlaub, bei dem wir beispielsweise dazu gezwungen worden waren, Schnaps aus einer Flasche zu trinken, in der sich eine tote Giftschlange befand, weil unsere Weigerung, wie man uns versicherte, für unseren Gastgeber eine unverzeihliche Beleidigung gewesen wäre.
«Eigentlich brauche ich gar kein Andenken», überlegte ich. «Was zählt, ist die Erinnerung an den wunderschönen, unvergesslichen Kreta-Urlaub mit Hazel.» Kurz entschlossen warf ich den chinesischen Flaschenöffner in den Abfallkübel und holte einen anderen. Aber es war wie verhext: Kaum hatte ich den Flaschenöffner in der Hand, tauchte vor meinem geistigen Auge das Bild des soeben entsorgten auf – und damit verbunden natürlich wieder die Erinnerung an den grauenhaften China-Urlaub, bei dem ich mir beispielsweise bei einem Sturz in die Grube der berühmten Terrakottaarmee des ersten chinesischen Kaisers das Schlüsselbein gebrochen hatte.
«Na, dann eben nicht», murmelte ich, stellte die Bierflasche zurück in den Kühlschrank und begab mich ins Schlafzimmer, wo mich Hazel bereits erwartete. «Na, was ist? Immer noch so gut in Form wie auf Kreta?», fragte sie mit verführerischer Stimme. Stichwort «Kreta»: eine wunderschöne Woche mit Hazel. Ein kleines Andenken. Ein chinesischer Flaschenöffner, der mich unweigerlich wieder an die grauenhaften China-Ferien erinnerte, bei denen Hazel und ich eine Nacht im Gefängnis hatten verbringen müssen, weil wir nach einem feuchtfröhlichen Lokalbesuch auf nächtlicher Strasse in lauten Gesang ausgebrochen waren. «Nein. Leider nicht. Nur müde», antwortete ich und zog erstmals ernsthaft in Erwägung, mit ihr Schluss zu machen, um nicht bis an mein Lebensende von der Erinnerung an die grauenhaften China-Ferien verfolgt zu werden, bei denen beispielsweise ein von der chinesischen Mauer herabstürzender Stein mir eine schmerzhafte, stark blutende Rissquetschwunde am Kopf zugefügt hatte.
Und als sich am nächsten Tag eine Kollegin in der Firma nach meinem Urlaub erkundigte, dachte ich spontan nicht an die wunderbare Woche auf Kreta, sondern an den grauenhaften China-Urlaub, bei dem ich beispielsweise von drei Shaolin-Mönchen verprügelt worden war, weil ich während einer ihrer heiligen Zeremonien einen Lachkrampf bekommen hatte, und antwortete mit: «Es war total scheisse. Echt scheisse.» Und das alles nur wegen eines blöden, billigen Flaschenöffners aus einem Land, in dem ich ganz bestimmt nie wieder Urlaub machen werde!
Damit meinte ich natürlich nicht Griechenland, sondern jenes tausendmal verfluchte Land, in dem ich beispielsweise als freiwilliger Teilnehmer an einem Zirkuskunststück von einem von zwei Trapezartisten schwungvoll durch die Luft geschleudert wurde, ohne jedoch vom anderen aufgefangen worden zu sein. Ich fürchte, dass es mir nicht einmal etwas nützen würde, den Namen jenes Landes, in dem ich den grauenhaftesten Urlaub meines Lebens durchlitten hatte, in Zukunft nicht mehr auszusprechen, weil mich jede Flasche Bier, die ich von nun an öffne, wieder daran erinnern würde. Vielleicht sollte ich Weintrinker werden.