
«Sehr geehrte Bahnreisende, befindet sich unter Ihnen ein Lokiführer? Wir haben einen dringenden Notfall.» So oder ähnlich könnte es an den Schweizer Bahnhöfen schon bald aus den Lautsprechern scherbeln. Findet sich keiner, bleiben die Züge stehen, so wie unlängst auf der wichtigen «Läufelfingerli»-Strecke zwischen Olten und Sissach. Die SBB verwies auf den «aktuell angespannten Personalbestand bei den Lokführern». Was ist nur aus dem Traumberuf unserer Jugend geworden?
Man will sich das Gejammer gar nicht erst vorstellen. Schon jetzt kommt es bei den SBB immer wieder zu Zugsausfällen, weil täglich 30 Lokiführer fehlen, oder wie es im Beamtenjargon richtig heisst: Triebfahrzeugführer. Dass nicht nur triebgesteuerte Männer die Fahrzeuge führen können, sei aus Gendergerechtigkeit an dieser Stelle für Tamara Funiciello erwähnt. Die SP-Frauenrechtlerin kann hier aber auch nicht weiterhelfen. Wie schon ihr Name sagt, ist sie eine Seilbahn, nah verwandt mit einem Funiculario, einer Standseilbahn, und genau das wollen wir ja nicht: stehen.
Männlicher Trieb
Stellt sich die Frage, wie der männliche Trieb wieder geweckt werden kann, der uns in den nächsten Jahren auf den Schweizer Schienen vorwärtstreiben soll. Um das zu verstehen, muss man erst begreifen, weshalb die Jungen keinen Bock mehr darauf haben, ein Leben lang einer vorgeschriebenen Spur von 4 Fuss, 8½ Zoll (1435 mm) folgend ihren Unterhalt zu verdienen. Es gibt verschiedene Gründe. Beispielsweise Weihnachten. Nicht weil sie heute als Lokiführer an Feiertagen arbeiten müssten, nein. In den vergangenen Jahren lagen immer mehr Playstations und geile Ego-Shooter-Spiele unterm Christbaum, welche die Väter total überforderten. Früher, da bekam Mann, also Kind, aber letztlich doch wieder der Mann, eine Märklin Eisenbahn geschenkt, die noch am selben Abend vom Vater aufgebaut wurde. Frühestens am Dreikönigstag durften die Kinder selber die Modell-Bahn ein paar Runden fahren lassen. Ganz unbewusst wurde so der Keimling einer Sehnsucht in einen Jungen eingepflanzt, der ihn später Lokiführer werden liess. Heute will er lieber Profi-Gamer oder Influencer werden.
Rollender Wackelpudding
Zudem sind die Jungen heute aufgeklärter und lassen sich nicht mehr so schnell hinters Licht führen. Stelleninserate mit Sprüchen wie
«Als Lokiführer bewegen Sie Grosses. Ihr Job führt Sie entlang der schönsten Bahnstrecken des Landes und der Arbeitsalltag ist genau so abwechslungsreich wie Ihre Arbeitszeiten und die unterschiedlichen Fahrzeugtypen, die Sie pilotieren»
verstehen sie in etwa als:
«Sie tragen viel Verantwortung, sind
dafür schlecht bezahlt. Ihr Job lässt Sie keinen Millimeter vom Weg abkommen. Auf dem Weg ins Burnout dürfen Sie auch an Wochenenden und an Feiertagen arbeiten»
Die Mär von modernen Zügen lässt sich ebenfalls nicht aufrechterhalten. Vielmehr sind die Schlagzeilen präsent über den Pannenzug von Bombardier, kurz «Dosto». Oder die Erinnerung an den rollenden Wackelpudding «Cisalpino», den viele Fahrgäste zum Kotzen fanden.
Genauso wie der CEO des ganzen Vereins, Andreas Meyer, der sein Generalabonnement zerriss, weil er unter anderem merkte, dass seine Personalplanung in etwa so weitsichtig war wie ein zugemauerter Tunnel. Da nützt es auch wenig, wenn die SBB mittlerweile einräumt, «die Rekrutierung sei zu defensiv geplant worden», was der Verband des Lokomotivpersonals (LPV) schon lange vorausgesagt hatte. Vielleicht macht Meyer ja noch ein paar Jahre als Lokiführer, bevor er als CEO irgendwo anders ein Unternehmen in einen zugemauerten Tunnel fährt, um bei diesem Bild zu bleiben. Eventuell lassen sich auch Piloten der Swiss aus Flugscham umschulen. Oder weil deren Flugzeuge, wie die A220-Flotte, ohnehin streikt. Die betroffenen 29 Jets entsprachen fast genau den 30 fehlenden Lokiführern und weil es immer einen Co-Piloten hat, gäbe es sogar für jeden Zug einen Kondukteur dazu.
Düstere Perspektive
Längerfristig löst dies die hausgemachten Probleme nicht. Vielleicht könnten selbstfahrende Züge helfen. Die sind nie krank, nehmen keinen Vaterschaftsurlaub und hauen nicht in die Pension ab. Allerdings schliesst diese Perspektive eher die Bahnschranke vor einem Jungen auf dem Weg zu einem Traumjob. Wer will schon einen Beruf lernen, der dereinst von einem dressierten Affen übernommen wird?
Was aber ist mit den Fahrgästen, die seit Beginn dieses Textes am Bahnhof stehen, wo sie nicht einmal mehr rauchen und ab 22 Uhr kein Bier mehr kaufen dürfen? Die beste Lösung wäre wohl, die in den Städten grassierende Mobilität mit bedeppten E-Scootern zu adaptieren und noch umwelt- und zugleich fitnessfördernd umzu-
setzen. Eine Durchsage am Bahnhof hört sich dann so an: «Sehr geehrte Bahnreisende, aus Ermangelung eines Lokiführers bitten wir Sie, sich
in Vierergruppen mit dem gleichen Reiseziel zusammenzustellen und
geschlossen beim Gleis mit der Aufschrift: ‹Draisine› zu melden.»