Laubbläser

Ralph Weibel | veröffentlicht am 31.10.2019

Kaum fällt im Herbst das erste vertrocknete Blatt von einem Baum, ist es so weit: Die Mi­kro-Orkan-Fetischisten zerren ihre Laubbläser aus dem Schopf in den Garten. Dabei könnte der Herbst so schön sein!

Laubbläser
Petra Kaster | (Nebelspalter)

Es ist nicht mehr so verdammt heiss und das langweilige Grün, welches man den ganzen Sommer über anschauen musste, verwandelt sich in ein goldiges Gelb oder
romantisches Rot. Blätter tanzen im Wind und überziehen den Gartensitzplatz mit einem raschelnden Teppich. Jeder weiss, jetzt kommt die Zeit, in welcher die Figur keine Rolle mehr spielt, weil der Bauch wieder unter den Kleidern versteckt werden kann. Die Tage werden kürzer, die Nächte dafür länger und es ist gut so, weil
die meisten von uns ohnehin besser aussehen, wenn es dunkel ist.

Ab in den Süden
Der Nachbar grilliert nicht mehr jeden Abend mit seinen analogen Twitter-Freunden. Das sind diejenigen Menschen, die immer überlaut lachen und noch viel lauter reden, weil sie das Gefühl haben, die ganze Welt interessiere sich für den Quatsch, den sie erzählen. Die lästigen Kinder sitzen wieder in ihren Zimmern vor ihren idiotischen Videospielen und verblöden langsam. Aber wenigstens schreien sie so nicht mehr im Quartier herum. Die lästigen Vögel, die den ganzen Sommer über gepfiffen haben, vom frühen Morgen bis zum späten Abend haben die Viecher gepfiffen, sind abgehauen in den Süden. Wenn wir Glück haben, fliegen sie auf dem Weg in eine Flugzeugturbine und kommen nie wieder zurück. Die Welt könnte im Herbst eigentlich perfekt sein, so schön ruhig.

115 Dezibel
Aber nein! Jetzt kommen sie wieder aus ihren Löchern, und wie sie kommen. Den ganzen Sommer über haben sie auf diesen Moment gewartet, diese Abwarte und Hobby-Gärtner mit ihren Laubbläsern. Kaum sehen sie das erste Blatt in der Garageneinfahrt liegen, legen sie los. Mit 115 Dezibel jagen sie jedes einzelne Blatt vor sich her und es kümmert sie einen Scheiss, dass sie einen Lärm machen wie ein Jumbojet, der startet. Wenn sie wenigstens warten würden, bis das letzte Blatt vom Baum gefallen ist. Aber nein! Wenn sich schon einmal die Gelegenheit bietet, in seinem kümmerlichen Leben etwas Staub aufzuwirbeln, dann sollte man das jeden Tag tun. Man muss sich diese Laubbläser nur anschauen. Also nicht die Maschine, die einen so verdammten Lärm macht, sondern den Idioten, der sie in der Hand hält.

Schnauz im Gesicht
Eine ganz eigene Rasse sind diese Abwarte. Sie tragen immer eine Latzhose aus der Landi und ein kariertes Hemd. Abwarte tragen immer ein kariertes Hemd, sind leicht untersetzt und machen ein «Ich-hasse-die-ganze-Welt-Gesicht». Natürlich gehört in so ein Gesicht auch ein Schnauz. Diese Typen lächeln nur, wenn sie mit dem Laubbläser unterwegs sind. Dann können sie sich endlich bei allen Nachbarn rächen. Abwarte haben immer das Gefühl, die ganze Welt habe sich ohnehin gegen sie verschworen. Wenn der Abfallsack am Tag vor der Abfuhr draussen steht, dann hat ein Abwart das Gefühl, man mache das nur, um ihn zu provozieren. Dabei muss man einen Abwart überhaupt nicht provozieren. Ein Abwart ist wie ein Fass Benzin und schon ein schräg parkiertes Auto, ein verlorenes Papiertaschentuch oder ein offenes Gartentor zum Gemeinschaftskompost ist der Funke, welcher den Schnauzträger zum Explodieren bringt. Eigentlich verwundert es, dass diese Ordnungs-Taliban nicht jeden Tag ein Massaker anrichten. Aber vielleicht wurden Laubbläser nur erfunden, damit sich Abwarte abreagieren können.

Wen kümmerts?
Wobei ein Laubbläser mindestens so zerstörerisch ist wie eine Kalaschnikow. Zumindest für die Tierwelt. Zyniker mögen behaupten, es sei eine neue Erfahrung für einen Hirschkäfer, wenn er von einem Luftstrom erfasst durch die Welt gewirbelt werde, das eröffne ihm ganz neue Perspektiven. In Tat und Wahrheit ist sein Abenteuer so tödlich wie ein Blattschuss bei einem richtigen Hirsch. Und ein Igel, dem die Stacheln vom Rücken geblasen werden, kann sich auch kein Auskommen als Meerschweinchen suchen. Doch wen kümmert das? Wichtig ist, dass man mit dem allradgetriebenen Geländewagen den Kontakt zur Strasse nicht verliert, dann doch lieber den zur Natur.

Verblasene Botschaft
Leider sind aber nicht nur Abwarte und Angestellte vom Strassenunterhalt mit ihren Laubbläsern unterwegs. Jeder Einfamilienhausbesitzer braucht eine solche motorisierte Schwanzverlängerung, wenn der Offroader in der Garage nicht mehr reicht. Irgendetwas damit muss es zu tun haben, denn sind wir ehrlich, eine Frau sieht man nie mit einem Laubbläser. Da stellt sich eher die Frage, ob die Männer ihren Frauen etwas sagen wollen mit ihren Laubbläsern. Oder vielleicht der Nachbarin, zu der sie das ganze Laub hinblasen.

Es könnte auch eine Kompensationshandlung sein, ein symbolischer Akt. Man weiss ja nicht, an was der frustrierte Mann voller Hass denkt, wenn er die schrumpeligen, vertrockneten Blätter aus seinem Garten jagt. Migranten, Mitarbeiter oder vielleicht die
eigene Frau?

Letztlich kann man nur hoffen, dass bald der Winter kommt und mit ihm die stille Hoffnung auf etwas mehr Ruhe. Doch eigentlich wissen wir, es wird keine Ruhe geben. Denn kaum fallen die ersten Schneeflocken vom Himmel, holen all die Bünzlis ihre Schnee­fräse hervor, und wenn man die nicht mehr brauchen kann, fangen sie wieder an, Rasen zu mähen. Hauptsache, es macht einen verdammten Lärm.

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